Mit der Pressekonferenz von Rem Koolhaas in Berlin haben auch die Kuratoren des deutschen Pavillons verraten, wie sie mit dem Rahmenthema „Absorbing Modernity“ umgehen und wofür ihr Titel „Bungalow Germania“ steht. Alex Lehnerer und Savvas Ciriacidis über Repräsentation, den deutschen Pavillon in Venedig und den Kanzlerbungalow in Bonn.
Bungalow Germania: Was bedeutet der Titel eurer Ausstellung?
AL: Ganz einfach: Das ganze Land ein Bungalow (lacht). Nein im Ernst, der Titel ist eine Montage. Um uns den 100 Jahren Moderne architektonisch zu nähern, wählen wir zwei Gebäude, die sich in ihrer Repräsentation nationaler Identität ähneln und während ihrer Existenz mehrfach überformt oder verändert wurden. Das eine Gebäude ist der Padiglione Germania in den Giardini. Das andere steht in einem Park am Rhein: das Wohn- und Repräsentationshaus des Bundeskanzlers, das Sep Ruf 1964 in Bonn errichtet hat.
Und wie geht ihr mit den beiden Bauten um?
AL: Wir wollen den Pavillon durch den Bungalow lesen und anders herum. Die architektonische Verschneidung dieser zwei sehr unterschiedlichen Architekturen steht mit all ihren Brüchen und Kontinuitäten auch für die Gegenwart.
SC: Der Bungalow, in Deutschland in den 1950er und 60er Jahren in Mode gekommen, ist keine typisch deutsche Erscheinung, auch wenn er hier mit seiner vermeintlichen Offenheit und Modernität ja fast schon politisch überhöht wurde. Außerdem nicht zu vergessen: Der Bungalow ist auch ein Ort der Cocktailparty...
Und welche Rolle spielt dann der deutsche Pavillon?
SC: Wir verstehen ihn als historisches Material, auch mit Blick auf den offiziellen Beobachtungszeitraum der Biennale, der ja fast der Geschichte des Pavillon entspricht: 1909 gebaut, 1938 und 1964 umgebaut…
AL: Er ist für uns keine weiße Box, sondern der Kontext der Ausstellung. Die Beiträge der Kunstbiennale haben da immer wieder gute Gesten gefunden – und auch die letzten beiden Biennalen, indem sie gesagt haben: Nein, wir gehen zur Seite hinein und nicht durch den Haupteingang.
Ist der Seiteneingang typisch deutsch?
AL: Vielleicht schon, als bewusster Ausdruck der Zurückhaltung? Das würde jedenfalls auch gut zur Bonner Republik passen. Die Franzosen würden wahrscheinlich nie auf die Idee kommen, ihr Haupteingangsportal nicht zu benutzen! (Pause) Das machten sie dann lustigerweise auf der letzten Kunstbiennale im deutschen Pavillon...
SC: Die haben aber auch nicht zehn Meter hohe Pfeiler!
Wie ist denn euer Statement: Seite oder frontal?
AL: Dieses Mal wird der Pavillon wieder durch den „Haupteingang“ betreten.
Wie ist es denn für euch, den deutschen Beitrag zu kuratieren – mit einem Wohnsitz in der Schweiz?
AL: Kurz gesagt: Das Grenzhäuschen in Schaffhausen ist ein Gebäude, das uns als Architekten nicht besonders interessiert. Auch wenn es natürlich nationale Eigenheiten gibt, entwickelt sich Architektur immer über die Grenzen hinweg, das war auch im Barock schon so.
SC: Dass wir als Schweizer gesehen werden, ist eher eine mediale Zuschreibung. Wir hätten nie gedacht, dass sogar die NZZ titelt: „Schweizer machen deutschen Pavillon“. Obwohl wir ja beide in Deutschland aufgewachsen sind und unser Büro vor allem wegen unserer Arbeit an der ETH in Zürich haben. Für uns stellt sich die Frage nach nationaler Identität gar nicht.
Ihr lehrt, seid Kuratoren, versteht Euch aber auch als Architekten. Habt ihr schon gebaut?
AL: Man kann sagen, wir haben bisher mehr darüber nachgedacht, spekuliert und geschrieben, als es tatsächlich getan. Manchmal ist das so – aber wir fangen jetzt an!
In Venedig?
SC: Na klar, auch! Aber in der Tat bauen wir gerade in Deutschland und in der Schweiz, beispielsweise beginnt im April der Bau von 20 Altenwohnungen am Zuger See.
AL: Die Theorie bedingt unsere Arbeit als praktische Fragestellung. Das gerade erschienene Western-Buch ist zum Beispiel extrem nah an der Biennale: Wie der Kanzlerbungalow waren auch die Städte des „Wilden Westens“ als reale Orte nur für wenige Menschen von Bedeutung. Umso wichtiger war und ist aber ihre popkulturelle Sichtbarkeit. Jedes Kind kann sagen, wie eine Westernstadt aussieht – das ist extrem projektiv, wie hier Geschichte scharfgestellt wird. Ein amerikanischer Zeitungsredakteur sagte damals: „This is the West, Sir. If the legend becomes fact, print the legend!“ Auch der Kanzlerbungalow kam jeden Abend als politische Kulisse im Fernsehen.
Heißt das, Gebäude können ihre Bedeutung auch ändern? Der Kanzlerbungalow steht ja vor allem für Westdeutschland, die Moderne spielte aber ja auch in der DDR eine große Rolle.
AL: Interessant, dass Ihr das sagt. Wir waren gestern in Wandlitz und haben das Haus 11 von Erich Honecker angesehen. Es ist unglaublich, wie mühelos dort aktualisiert wurde! Heute ist das Haus Teil einer Klinik und nichts, aber auch gar nichts deutet auf seine Vergangenheit hin. Aufgrund unseres historischen Wissens hat das Haus eine bestimmte Bedeutung, aber heute ist es vollkommen umkodiert. Für die Patienten ist es ein Krankenzimmer, für uns das Wohnzimmer von Erich Honecker. Diese spekulative Realität der Architektur mit all ihren Differenzen ist genau das, was uns interessiert.
Das Gespräch führten Jeanette Kunsmann und Stephan Becker; BauNetz ist Medienpartner des deutschen Beitrags in Venedig.
Die BauNetz-Berichterstattung zur Biennale 2014 wird unterstützt von GROHE.
Zum Thema:
Savvas Ciriacidis und Alex Lehnerer führen seit 2012 in Zürich das Architekturbüro CIRIACIDISLEHNERER. In ihrer praktischen und akademischen Arbeit versuchen sie, Architektur als kulturelle Praxis zu begreifen. Ihre theoretische und praktische Arbeit ist international publiziert und mit Preisen ausgezeichnet worden.
Alex Lehnerer (geboren 1974 in Erlangen) ist seit 2012 Assistenzprofessor für Architektur und Städtebau am Departement Architektur der ETH Zürich, wo er zwischen 2012 und 2014 mit seinem Team in Singapur und Südostasien forschte. Von 2008 bis 2012 unterrichtete er als Professor an der University of Illinois in Chicago. Er promovierte zuvor an der ETH Zürich und graduierte an der University of California in Los Angeles (UCLA).
Savvas Ciriacidis (geboren 1975 in Stuttgart) ist seit seinem Studium an der ETH Zürich als praktischer Architekt in Zürich tätig und hat zwischen 2006 und 2013 an der Professur für Architektur und Entwurf Prof. Christian Kerez an der ETH Zürich geforscht und unterrichtet.
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