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16.06.2021

Postwachstumsstadt und Stadtpolitik

Gespräch mit Anton Brokow-Loga über die Stadt der Zukunft


Zur Zukunft der Stadt ohne Wachstum arbeitet der Stadtforscher Anton Brokow-Loga an der Bauhaus-Universität Weimar. Gemeinsam mit dem Politikwissenschaftler Frank Eckardt hat er die Beiträge der Konferenz „Postwachstumsstadt. Perspektiven des sozial-ökologischen Wandels der Stadtgesellschaft“, die im Mai 2019 an der Bauhaus-Universität Weimar stattfand, in einem Buch herausgegeben, das der Oekom-Verlag unter dem Titel „Postwachstumsstadt“ auch als Open Access zur Verfügung stellt. Im April ist ein Fortsetzungsband „Stadtpolitik für alle. Städte zwischen Pandemie und Transformation“ im Heidelberger Verlag Graswurzel Revolution, ebenfalls Open Access erschienen. Mit Anton Brokow-Loga sprach Christian Welzbacher.

Herr Brokow-Loga, wofür steht der Begriff „Postwachstumsstadt“ und woher kommt er?

Anton Brokow-Loga: Der Begriff Postwachstumsstadt knüpft an die internationale Debatte zu „Degrowth“ bzw. „Postwachstum“ an. Sie begann unter anderem mit dem Club of Rome, der die „Grenzen des Wachstums“ voraussah. Heute dreht sie sich viel um Fragen der gerechten Transformation. Im Französischen wird übrigens der Begriff „Décroissance“ verwendet, der die Debatte gut zusammenfasst. Er bezeichnet den Rückgang eines Flusses in sein ursprüngliches Flussbett nach einer zerstörerischen Flut. Insofern steht Postwachstumsstadt für die Kritik an einer wachstumsfixierten Stadtpolitik. Angesichts vieler darbender Innenstädte und Kommunen in Finanznöten erscheint das vielleicht momentan anachronistisch. Da uns aber planetare Grenzen gesetzt sind und die Stadtgesellschaften von Ungleichheiten zerrissen werden, müssen wir das Leitbild vom Wirtschaftswachstum um jeden sozialen oder ökologischen Preis ändern. Entwürfe aus den sozialen Bewegungen und Indikatoren aus der Forschung liefern uns längst Möglichkeiten, eine Stadtpolitik für alle zu forcieren.

Welche Entwürfe meinen Sie?

Ich denke da an Ansätze zu den Urban Commons, zur Care- und Alltagsökonomie, zum Gemeinwohl und zum Recht auf Stadt. Letztlich kommt es darauf an, eine „andere Stadt“ überhaupt für die Bewohnenden denk- und machbar wird. Anstatt einer Blaupause, die die alte Monokultur durch eine neue ersetzt, braucht es Utopien für ein gelingendes Stadtlebens und Mut zum Ausprobieren.

Wo
sehen Sie hierbei neue Aufgaben für die Planer*innen, und welche Rolle spielt dabei deren Ausbildung?
Für die Postwachstumsstadt brauchen wir nicht „mehr“ oder „weniger“ Planung, sondern eine grundsätzlich veränderte Planung. Die Verengung der Stadtplanung auf technische, smarte und damit nur vermeintlich neutrale Vorhaben hat dazu geführt, dass Planung zutiefst ungerechte und nicht-nachhaltige Machtverhältnisse zementiert. Deswegen ist es notwendig, dass Stadtplanung „schwache“ Interessen in ihrer gesellschaftlichen Artikulation besonders unterstützt. Dazu gehört beispielsweise das Recht der kommenden Generationen, auf diesem Planeten leben zu können. Ob nun Erdöl oder Lithium: Die Infrastrukturen heutiger Städte beuten die Rohstoffe der Erde überproportional aus und hinterlassen riesige Müllberge. Die damit verbundenen neuen Aufgaben gehören in die Curricula für Planungsstudiengänge. Sie müssen eine holistische Perspektive sowie die ökologische und soziale Gerechtigkeit als Grundlage aller stadtplanerischer Strategien vermitteln.

Welche politischen Stellschrauben könnten die Postwachstumsstadt
unterstützen und welche ideologischen Barrieren stehen der Idee entgegen?
Wenn Sie sich ein Haus vorstellen, haben Sie vermutlich ein Einfamilienhaus mit Satteldach und Garage im Kopf. Das ist doch paradox: Obwohl der Neubau eines Einfamilienhauses ökologisch desaströs ist, hat es sich fest in unsere kollektive und individuelle Vorstellungswelt eingeschrieben und wird sowohl staatlich als auch rechtlich unterstützt. Nehmen wir die Eigenheimzulage und das Baukindergeld. Während neue Flächen massiv versiegelt werden, profitieren vornehmlich obere Einkommensgruppen von den Förderungen. Hinzu kommt der Wachstumsdruck der Kommunen. Sie stehen in Konkurrenz zu anderen Gemeinden und müssen demnach – fast schon zwingend – immer mehr Einwohner*innen und Gewerbe anziehen. Die politischen Stellschrauben dieser expansiven Politik finden sich in Grundsteuer und Finanzausgleich, aber auch im Bauordnungsrecht oder der Straßenverkehrsordnung, die bislang den Autoverkehr privilegiert.

Könnten die Erfahrungen der Pandemie einen Stadtumbau im Sinne der Postwachstumsstadt beschleunigen?
Ja. Aber nur, wenn wir sie nutzen. Das bedeutet zum einen, dass Experimente gewagt werden, um beispielsweise den Radverkehr durch Pop-Up-Radwege sicherer und komfortabler zu gestalten. Zum anderen kommt es darauf an, wie mittelfristig institutionelle Veränderungen in die Wege geleitet werden können. Mit anderen Worten: Die Flächenumverteilung in den Städten muss zur Kernaufgabe werden. Öffentlicher Raum für alle ist wesentlich für die Gesellschaft, Stellplätze für wenige sind es nicht. Außerdem muss die in der Krise als „systemrelevant“ bezeichnete Nahversorgung und Daseinsvorsorge zentrales Element einer neuen städtischen Infrastrukturpolitik werden, die das Leben nicht einem zunehmend dysfunktionalen Markt überlässt. Das spielt in unserem neuen Buch eine zentrale Rolle.

Was wären aus dieser Perspektive Herausforderungen für ein Neues Europäisches Bauhaus, wie es die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordert?
Prinzipiell ist die Begleitung des milliardenschweren europäischen Green Deals durch Design und Baukultur eine sinnvolle Idee. Das Ansinnen eines gerechten und klimaneutralen Kontinents darf allerdings nicht daran scheitern, dass weiterhin die wachstumsfixierten oder neoliberalen Wege gegangen werden, die schon vorher nur Misserfolge zeitigten. Die Erklärung des BDA „Das Haus der Erde“ und die Initiativen für eine Bauwende weisen da in eine sinnvolle Richtung, an die angeknüpft werden müsste. Ich halte es mit dem britischen Journalisten George Monbiot, der betont, dass Fortschritt im 21. Jahrhundert weniger an der neu gebauten Infrastruktur gemessen werden sollte, sondern mehr daran, wie viel zerstörerische Infrastruktur rückgebaut wird. In diesem Sinne plädiere ich für ein Neues Europäisches UmBauhaus, dass auf ressourcenschonende Weise den sozial-ökologischen Umbau unserer Gesellschaft vorantreibt: mental, politisch, baulich.

Postwachstumsstadt. Konturen einer solidarischen Stadtpolitik

Anton Brokow-Loga, Frank Eckardt (Hg.)
344 Seiten
Deutsch
Oekom Verlag, München 2020

ISBN 978-3-96238-199-8
22,00 Euro und Open Access

Stadtpolitik für alle. Städte zwischen Pandemie und Transformation

Anton Brokow-Loga, Frank Eckardt
66 Seiten
Deutsch
Graswurzelrevolution, Heidelberg 2021
ISBN 978-3-939045-45-8
9,90 Euro


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Stadtleben nach Corona, nach dem Wachstum? Auf dem Gelände der Alten Feuerwache in Weimar wird das ausprobiert. Foto: Thomas Müller

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Zukunft wird gepflanzt: Postwachstumsstadt heißt Planungsprozesse neu zu denken - Foto: MA Transformation Design, HBK Braunschweig

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