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20.01.2021
Sgraffito für Fans
Geschäftshaus in München von Hild und K
„Rot oder Blau?“ ist für Münchner Fußballfans die entscheidende Glaubensfrage. Rot steht für den millionenschweren FC Bayern; Blau für die ewigen Underdogs vom TSV 1860, die aktuell im oberen Bereich der dritten Liga agieren. Vor allem aus Sicht der Blauen gilt: Ein echter Münchner ist 60er-Fan! Womit unwillkürlich ein entscheidender architekturtheoretischer Punkt angesprochen wäre, der sich beim Blick auf das kürzlich fertiggestellte Geschäftshaus der FC Bayern Welt von Hild und K (München) aufdrängt: Was ist „echt“, und was ist „Münchnerisch“?
Diese Fragen stellen sich bereits aufgrund der Lage, denn das Haus steht an äußerst prominenter Stelle. Die farbig gefasste Hauptfront markiert eine Ecke des großen Marienhofs hinter dem Münchner Rathaus; die monochrom gehaltene Rückseite blickt wiederum auf den Chorbereich der weltberühmten Frauenkirche. Mehr München geht fast nicht.
Wie bei vielen ihrer jüngeren Projekte setzen Hild und K in erster Linie auf eine unorthodoxe Fassade, die auf plakative Weise mit Fragen der Authentizität und des Ortsbezugs spielt und dabei doch tiefergehende Fragen nach dem Umgang mit dem Alten stellt. Während sie etwa bei einem Wohnungsbau in Nürnberg kürzlich Elemente des Vorgängerbaus als Spolien inszenierten, entschieden sie sich in München für mondäne Ornamentik und geradezu prätentiöse Handwerklichkeit, indem sie die Fassade als Sgraffito ausführen ließen. Zur Erinnerung: Sgraffito ist eine historische Putztechnik, bei der verschiedenfarbige Schichten übereinander aufgetragen und anschließend partiell wieder abgekratzt – italienisch „sgraffiare“ – werden.
So effekthascherisch die Fassade auch erscheinen mag, so sehr möchten die Architekt*innen sie als Resultat einer doppelten historischen Bezugnahme verstanden wissen. Die Vorlage für die Fassade bildet ein 1872 errichtetes Gebäude, das an dieser Stelle stand und im Krieg zerstört wurde. Auf Grundlage historischer Originalzeichnungen und mit Hilfe digitaler Techniken wurde das knapp 150 Jahre alte Fassadenbild in die Jetztzeit überführt – und dies nicht nur technisch, sondern auch formal. Die Fassade ist keine linientreue Rekonstruktion, sondern ganz klar als Neuinterpretation zu erkennen. Nicht Abbild, sondern eher digitalisierter Schatten – samt Schattenwurf! – der Vergangenheit.
Bautechnischer Referenzpunkt des Sgraffitos ist wiederum die Münchner Nachkriegszeit, wie die Architekt*innen betonen. Denn diese Art des farbigen Verputzens kam in den 1950er und 60er Jahren oft zur Anwendung, als eine moderat moderne und immer auch betont Münchnerische Wiederaufbauarchitektur entstand, die heute auf beiläufige Art weite Teile der Innenstadt prägt. Sgraffito war damals schlicht und ergreifend eine günstige Art, Fassaden zu gestalten. Heute ist das natürlich teuer, was ebenso in jeder Hinsicht zum Haus passt wie die Ehrlichkeit, bei einer solchen Immobilie – die weitgehend einer Logik der Flächenökonomie folgt – ganz bewusst auf eine manierierte Hülle zu setzen.
Der Fokus auf die Fassade spiegelt sich auch in der Durchführung des Projekts wider, bei dem der FC Bayern als Alleinmieter 3.500 Quadratmeter bespielt, von denen wiederum 1.000 Quadratmeter allein dem Shop gewidmet sind. Das Haus entstand in Zusammenarbeit mit dem Münchner Architekturbüro Thomas Hetfleisch & Joachim Leppert. Hild und K zeichnen verantwortlich für Entwurf, Genehmigungsplanung sowie Gestaltung und Umsetzung der Fassade. Nach Leistungsphase 4 übernahmen weitgehend Hetfleisch & Leppert, die Arbeiten an der Fassade lagen jedoch weiterhin in der Hand von Hild und K. Für die Bauherrin Nymphenburg Immobilien hatten die beiden Büros in ähnlicher Zusammenarbeit vor einigen Jahren bereits das Nachbargebäude errichtet. Auch dieses versteht sich als bewusste Auseinandersetzung mit der Münchner Architekturgeschichte. Der Unterschied könnte freilich nicht größer sein. (gh)
Fotos: Michael Heinrich
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Der Neubau von Hild und K im Herzen der Münchner Altstadt umfasst Verkaufsflächen, ein Hotel, Büros und im hinteren Bereich ein Restaurant.
Der Wechsel in der Farbigkeit markiert eine historische Parzellengrenze und spiegelt zugleich die städtebauliche Hierarchie des Ortes wider.
Die Fassade ist nicht Abbild, sondern eher digitalisierter Schatten – samt Schattenwurf! – der Vergangenheit.
Die Ausführung des Sgraffito erfolgte durch die Münchner Firma Restauro Putz GmbH Arte Antica. Die anthrazitfarbenen Flächen wurden auf hergebrachte Weise auf der Fassade aufgebracht.
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