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23.07.2021

Der Anfang vom Ende?

Gegenpositionen zum Humboldt Forum


Mit der Eröffnung des Humboldt Forums formiert sich neuer Widerstand. Mehrere Gruppen wollen nicht aufhören, den heftig umstrittenen Bau zu problematisieren. Der Aktionsraum Spreeufer als Teil des Netzwerks Decolonize Berlin e.V. fordert ein „Defund the Humboldt Forum“ sowie den Abriss des Preußen-Schlosses. Der Förderverein Palast der Republik setzt sich für die Rekonstruktion des Palasts der Republik ein, um einer Normalisierung und Verstetigung des Humboldt Forums, und damit eines Vergessens der komplexen Geschichte des Ortes, entgegenzutreten.

Von Alexander Stumm


Die Architektur des Humboldt Forums steht für Kolonialherrschaft und Rassismus. Warum? Eine semiotische Kurzanalyse: Die rekonstruierten Fassaden des Stadtschlosses repräsentieren die preußische Monarchie. Die sie überragende Kuppel und das große, auf dem Reichsapfel thronende Kreuz stehen weiterhin für die unheilige Allianz zwischen preußischem König- beziehungsweise Kaisertum und christlicher Kirche. Im Kontext der Funktion des Baus, der Präsentation von in der Kolonialzeit als Raubkunst erbeuteten Kunstwerken und Artefakten, ist das Kreuz zugleich Zeichen kolonialer Unterdrückung und Gewalt. Mit dem auf dem Tambour angebrachten Spruch, der da lautet – „Es ist kein ander Heil, es ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn der Name Jesu, zu Ehren des Vaters, daß im Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“ – werden nicht-christliche Kulturformen herabgesetzt und im Wortsinn erniedrigt. Inhärent ist damit der Herrschaftsanspruch des weißen Mannes über andere, unwertigere Völker. In der Kombination von Fassade, Kuppel, Kreuz, Spruchband und Funktion ist das Humboldt Forum ein gewaltiges Problem, das sich nicht wegdiskutieren lässt.

Decolonize Berlin und Aktionsraum Spreeufer

Die Fassaden sind für den dekolonialen Aktionsraum Spreeufer aber nur ein Aspekt des Problems. Spreeufer ist ein Zusammenschluss der Initiativen Coalition of Cultural Workers Against the Humboldt Forum (CCWAH) sowie Barazani.berlin und Teil des zivilgesellschaftlichen Netzwerks Decolonize Berlin e.V.. Sie setzen sich konkret mit Fragen der Restitution und Wiedergutmachung auseinander. „Während die Gesamtkosten für die Wiedererrichtung des Berliner Schlosses und Einrichtung des Humboldt Forums sich momentan auf 660 Millionen Euro beläuft, wurden dem Staat Namibia 10 Millionen Euro als Wiedergutmachung für den deutschen Genozid an den Herero und Nama angeboten.“ Auch nehmen sie die Ausstellungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst in den Blick, die am 22. September 2021 im Humboldt Forum eröffnen. Ob die Benin-Bronzen gezeigt werden, ist im Moment unklar. Das Luf-Boot aus Neuguinea, das jüngsten Forschungen von Götz Aly zufolge mit Verbrechen in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Neuguinea in Verbindung steht, soll aber weiterhin seinen Platz in den neuen Ausstellungsräumen finden.

Am 9. Juli 2021 eröffnete Spreeufer die von Dirk Teschner in Zusammenarbeit mit Raul Walch und Schroeter & Berger kuratierte Ausstellung „Re-Move Schloss“ mit Positionen von Jan Brokof, Verena Issel, Owned by Others, Rosa Kollektiv, Schroeter & Berger, Raul Walch, Ina Wudtke, The Coalition of Cultural Workers Against the Humboldt Forum und PsychoBoddin – Volksbegierden Totale Rekonstruktion (fed and cared for by JP Raether). Letztere ist eine Videoarbeit über den Vortrag von PsychoBoddin, der mit Glitzerlatexanzug, lila Hautfarbe, schwarz-rot-goldenen Kontaktlinsen und Dildofingern die „totale Rekonstruktion Berlins“ einschließlich der Neuen Reichskanzlei von Albert Speer propagiert. Die ausgestellten Plakate der CCWAH sind Resultat verschiedener Protestaktionen im städtischen Raum, die die Initiative internationaler Kulturarbeiter*innen seit 2020 durchführt. Sie hat auch die Kampagne „Defund the Humboldt Forum“ initiiert.

Spreeufer will den „kulturimperialen Größenwahn ein so entschiedenes wie schlagkräftiges No Way! entgegenschleudern“ und fordert: „Das Humboldt Forum soll die massive Kritik, der es von Anfang an ausgesetzt war, nicht einfach aussitzen können. Wir bündeln unsere Kräfte, bis das Preußenschloss wieder abgebaut wird, Stein um Stein: Tear it down! Anlässlich der Publikumseröffnung rufen wir zum Defunding dieses geldverschlingenden Monsters auf, um den Geldstrom sinnvoll in dekoloniale Initiativen umzuleiten.“

Die Ausstellung ist noch bis Sonntag, 25. Juli am Spreeufer 6 im Nikolaiviertel schräg gegenüber des Humboldt Forums zu sehen. Die Räumlichkeiten dienten früher übrigens dem Ticketverkauf für den Palast der Republik. Weitere Informationen unter ccwah.info und barazani.berlin.

Förderverein Palast der Republik
Der Förderverein Palast der Republik e.V. engagiert sich für die Rekonstruktion des Palasts der Republik im Zustand von 2005 – dem Zeitpunkt der Zwischennutzung vor dem Abriss –, als ein Ort kultureller Vielfalt und historischer Komplexität. Der Verein besteht aus Künstler*innen, Architekt*innen, Denkmalpfleger*innen und Kulturschaffenden unter dem Vorstand von Ortrun Bargholz und Clemens Schöll. Ihre Vision folgt einem 5-Punkte-Plan. Er ist eine Appropriation eines Textes des Fördervereins Berliner Schloss e.V. und kann als subversive Übernahme der Strategie der Schlossbefürworter gelesen werden. Der Zeithorizont ist klar vorgegeben und der Plan geht folgendermaßen:

Punkt 1 ist die Aufstellung eines Bronze-Modells des Palasts der Republik vor dem Humboldt Forum, um, ganz klassisch, die Erinnerung an eine komplexere und reichere Geschichte lebendig zu halten. Dies soll so bald wie möglich passieren. Der 2. Punkt, der voraussichtlich 2025–30 realisiert wird, ist ein Baugerüst mit einer Fassaden-Simulation des Palasts auf bedruckten Planen – ein bewährtes und probates Mittel für die Beeinflussung der Meinungsbildung. Da sich die Grundflächen von Humboldt Forum und Palast der Republik nur teilweise überschneiden, können problemlos drei Fassadensimulationen aufgestellt werden. Punkt 3 ist die Errichtung einer Musterfassade der nord-westlichen Palast-Ecke am Originalstandort, angepeilt für 2030–25. Punkt 4 ist unausweichlich der Abriss des Berliner Schlosses – wichtig hierbei ist, noch gar nicht genau zu wissen, wie es danach weitergeht. Richtwert ist das Jahr 2050; die 30 Jahre zwischen Fertigstellung und Abrissbeginn sind direkt von der Existenz des Palasts der Republik abgeleitet, der von 1976 bis 2006 stand. 5. Punkt ist schließlich die Finanzierung und Konzeption des Neubaus mit der Rekonstruktion aller vier Fassaden.

Am Dienstag hat die Spendenkampagne begonnen, für das Bronze-Modell müssen 5.000–10.000 Euro zusammenkommen. Weiterhin kann man Fördermitglied werden. Um als Verein für möglichst Viele offen zu sein, beginnt der jährliche Mitgliedsbeitrag bei einem Euro.

Der Kampf um die Deutungshoheit der Mitte von Berlin hat, so scheint es, gerade erst begonnen.


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Protestaktion Defund the Humboldt Forum im Rahmen der Ausstellung Re-Move Schloss im Aktionsraum Spreeufer.

Protestaktion Defund the Humboldt Forum im Rahmen der Ausstellung Re-Move Schloss im Aktionsraum Spreeufer.

Auftakt Spendenkampagne Förderverein Palast der Republik e.V. zur Eröffnung des Humboldt Forums am 20. Juli 2021

Auftakt Spendenkampagne Förderverein Palast der Republik e.V. zur Eröffnung des Humboldt Forums am 20. Juli 2021

Ortsschild nach TGL 12096-01 von Schroeter & Berger, 2021 zu sehen in der Ausstellung Re-Move Schloss im Aktionsraum Spreeufer.

Ortsschild nach TGL 12096-01 von Schroeter & Berger, 2021 zu sehen in der Ausstellung Re-Move Schloss im Aktionsraum Spreeufer.

Ausstellung Re-Move Schloss im Aktionsraum Spreeufer. Im Bild: Plakate der Coalition of Cultural Workers Against the Humboldt Forum.

Ausstellung Re-Move Schloss im Aktionsraum Spreeufer. Im Bild: Plakate der Coalition of Cultural Workers Against the Humboldt Forum.

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