Die ehemalige Kaiserresidenz Kyoto blickt auf eine 1.200-jährige Geschichte zurück. Ursprünglich war ihr Stadtgrundriss nach der klassischen chinesischen Geomantie schachbrettartig angelegt. Auf diesem Grundriss standen dicht nebeneinander traditionelle hölzerne Stadthäuser, Machiya genannt. 1975 erließ die japanische Regierung ein Gesetz, das ganze Straßenzüge mit diesen historischen Gebäuden unter Denkmalschutz stellte. Viele Bewohner zogen daraufhin aufgrund der hohen Instandhaltungskosten weg. Das wiederum ermöglicht es neuen Besitzern mit dem entsprechenden Budget, kreative Lösungen für die Bestandsbauten zu finden. Das Projekt von td-atelier (Kyoto) ist vor diesem Hintergrund zu sehen: Für einen privaten Auftraggeber bauten die Architekten ein ehemaliges Wohngebäude zu einem gehobenen Gästehaus um.
Typisch für die Machiyas, meist eine Kombination aus Wohn- und Geschäftshaus, sind eine sehr schmale Front und eine lange Gebäudetiefe mit einem innenliegenden Hof. Diese Bauweise ist eine Folge der früher üblichen Besteuerung, die sich nach der Breite der Ladenfront richtete. Deshalb baute man diese gern auffallend, aber schmal. Hinter der zur Straße orientierten Verkaufsfläche bzw. Werkstatt im Erdgeschoss lagen abgeschirmt die Wohnräume der Händler oder Handwerker und ihrer Familien. Auf diese Weise sicherte man sich in der dicht besiedelten Stadt Privatsphäre.
In dem von td-atelier umgebauten Haus, das 120 Jahre alt ist, wohnte und arbeitete einst ein Färber mit seiner Familie. Die Architekten gliederten das alte Gebäude neu, indem sie seinen Räumen konkrete Funktionen zuwiesen – anders als es in klassischen japanischen Wohnhäusern üblich war. Sie interpretierten den Bestand als Folge von fünf hintereinander gereihten Abschnitten. Einen davon bauten sie stark zurück, um einen innenliegenden Garten zu schaffen. Die frühere Enge wich, indem die Räume auf beiden Etagen durch Öffnungen und Durchblicke miteinander verbunden wurden.
Auf der oberen Etage befinden sich die Schlafräume. Im Erdgeschoß liegen die Gemeinschaftsbereiche wie Wohnraum und Küche sowie ein großes Bad. Wie in der traditionellen japanischen Architektur üblich, wurde auch hier viel mit Schiebetüren gearbeitet. Werden sie geschlossen, sind die einzelnen Räume abgetrennte Einheiten. Öffnet man sie, verwandelt sich das Haus in eine große Ganzheit aus alt und neu. (eb)