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https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-GAM_Nr._15_ueber_territoriale_Gerechtigkeit_6956529.html

31.07.2019

Buchtipp: Wer redet schon noch vom Land?

GAM Nr. 15 über territoriale Gerechtigkeit


Rem Koolhaas hat gerade seine für dieses Jahr geplante Ausstellung „Countryside: the Future of the World“ im Guggenheim New York um ein Jahr verschoben. Gerne erzählt er aber schon im Vorfeld, alle Welt würde ja nur noch über die Städte sprechen, urban age et cetera, – eine schlaue Rhetorik, mit der er vor allem umgekehrt seine Forschungen zur „countryside“ interessanter macht.

Stimmen tut das natürlich nicht: Nicht nur im Zeitschriftenladen stehen immer mehr Magazine zum schönen Leben auf dem Land, nein, auch an Publikationen und Forschungen zur Innovationskraft und zur Neuerfindung der Provinz hat es in den letzten Jahren kaum gemangelt. Der jüngste Beweis ist die ausgesprochen kluge 15. Ausgabe des buchformatigen Magazins GAM, das jedes Jahr von der Architekturfakultät der TU Graz produziert wird.

Es geht um die „territoriale Gerechtigkeit“, was im Kern die in Deutschland relativ alte Diskussion um gleichwertige Lebensbedingungen bedeutet. Die wird auch in vielen anderen europäischen Staaten geführt und so ist es interessant zu sehen, was es aus Österreich, Belgien, den Niederlanden, aus Frankreich oder Wales zu diesem Thema zu sagen und zu beobachten gibt und welche Strategien dort zu finden sind.

In drei großen Kapiteln wird diesen Fragen nachgegangen: Im Kapitel „Semantics“ wird diskutiert, was unter „dem Land“ beziehungsweise der Peripherie eigentlich heute, insbesondere im entwickelten Europa, zu verstehen ist. Unter „Dynamics“ werden aktuelle Veränderungen wie etwa die Landflucht und die Migrationsbewegungen betrachtet. „Pragmatics“ versammelt abschließend einige Fallstudien aus sehr unterschiedlichen Regionen.

Jedes Kapitel enthält eine Mischung aus Essays, Interviews und Projektvorstellungen, was die Lektüre abwechslungsreich macht. Dass die Gast-Redaktion dieser Ausgabe von der belgischen Stadtplanerin Aglaée Degros und der österreichischen Landschaftsarchitektin Eva Schwab übernommen wurde, ist der Ausgabe doppelt anzumerken: Erstens gibt es ein großes Interesse an den großen Zusammenhängen. Zweitens liegt ein deutlicher Fokus auf den Niederlanden und Belgien, auf Frankreich und auf Österreich.

Die wenigen eingestreuten Reportagen ohne Europa-Bezug, etwa über die Apalachen oder den Sandhandel in Singapur, wirken dagegen deplatziert und beliebig, während die anderen Themen und Diskussionen viele erstaunliche Verbindungen zwischen den Migranten in Italien, den Problemen der französischen Peripherie, den partizipativen Gemeinschaftsgärten im Schweizerischen Lichtensteig bis zum Leerstandsmanager und „Dorfkümmerer“ in Trofaiach in der Steiermark entwickeln.

Fragen nach Mobilität und Versorgung, nach dem Zugang zu Bildungsangeboten und Arbeitsplätzen, nach Attraktivität und Rückzugsmöglichkeiten stellen sich überall und immer wieder aufs Neue. Sie zwingen gerade die schrumpfenden Gemeinden zu mehr Kreativität und Flexibilität – und genau das macht einen Blick auf deren aktuelle Strategien so lohnenswert. Fast schade, dass auch Degros und Schwab schreiben, die Ausgabe sei „der Aufbruch in ein Abenteuer in ein […] weitgehend unerforschtes Terrain“. Das wird uns Koolhaas bei „Countryside“ 2020 vermutlich auch erzählen, in einem bestimmt enorm dicken Begleitbuch. Aber selbst wenn jede der vielen Publikationen über das Land erneut behauptet, die einzige zu sein – wahrer wird die Behauptung dadurch nicht.

Text: Florian Heilmeyer

GAM Nr. 15: Territorial Justice
TU Graz (Hg.), Gastredaktion: Aglaée Degros und Eva Schwab
Mit Beiträgen von Pierre Veltz, Michael Woods, Paola Viganò, Yuri Kazepov und Michael Friesenecker, Roland Gruber, Emanuele Sommariva, Nicolas Escach, Don Mitchell, Vincent van der Heyden u. a.

308 Seiten
Deutsch/Englisch
Jovis, Berlin, 2019
ISBN 978-3-86859-855-1
19,95 Euro


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