Am 20. Mai wählte die Architektenkammer Berlin ihren neuen Vorstand. Die bisherige Präsidentin Christine Edmaier trat nicht mehr zur Wahl an. Theresa Keilhacker ist ihre Nachfolgerin. Sie arbeitet als freischaffende Architektin, seit 1998 in einer Bürogemeinschaft mit Boris Kazanski. 2005–13 war sie Vorsitzende des Ausschusses Nachhaltiges Planen und Bauen der Architektenkammer Berlin, 2013–17 Vizepräsidentin der Berliner Kammer.
Frau Keilhacker, herzlichen Glückwunsch zur Wahl als Präsidentin der Berliner Architektenkammer. Welche berufspolitischen Akzente wollen Sie in Ihrer neuen Rolle setzen?
Neben dem nachhaltigen Planen und Bauen mit Fokus auf ressourcensparende Bestandsertüchtigung und CO2-Neutralität ist das Thema Wettbewerbe und Vergabe ein Dauerbrenner. Die Teilnahmehürden werden immer höher, worunter die Vielfalt der Konzepte leidet. Außerdem werden wir die geplante „Renovation Wave“ der EU und das „New European Bauhaus“ aktiv begleiten. Aber auch Themen wie eine zukunftsweisende Aus- und Fortbildung, Gleichstellung im Beruf, faire Verträge und angemessene Bezahlung sind mir sehr wichtig.
Wie wollen Sie die junge Planer*innengeneration beim Berufseinstieg unterstützen?
Durch niedrigschwellige Wettbewerbs- und Vergabeverfahren und eine engere Zusammenarbeit von Hochschulen und Praxis. Mein interdisziplinäres Netzwerk „AfA – Aktiv für Architektur“ unterstützt deshalb die „Plattform Nachwuchsarchitekt*innen“, insbesondere beim jährlichen Wettbewerb „Stadt im Wandel – Stadt der Ideen“.
Ihre Vorgängerin war maßgeblich an der Initiative für eine IBA Berlin Brandenburg beteiligt. Werden Sie dieses Vorhaben weiterführen, und wie ist der aktuelle Stand?
Wir werden den Austausch mit Brandenburg weiter intensivieren und versuchen, das Thema IBA vom Kopf auf die Füße zu stellen. Nach der starken Wachstumsphase in Berlin, die auch im Speckgürtel ihre Spuren hinterlassen hat, deutet sich eine Zeit der leeren kommunalen Kassen an. In Allianz mit den Andersmacher*innen dieser Stadt-Region müssen wir nun den Fokus auf Ressourcenschutz, energieeffiziente Ertüchtigung erhaltenswerter Bausubstanz, Denken in Kreisläufen und Gemeinwohl lenken – und nicht ausschließlich auf renditegetriebenes „Bauen, Bauen, Bauen“. Der Siedlungsstern stellt dabei ein geeignetes Leitbild gegen Zersiedelung und Flächenfraß und für eine Entwicklung entlang der ÖPNV-Infrastruktur dar. Für solche nachhaltig gedachten Prozesse müssen dringend Fördermittel akquiriert werden.
Berlin ist eine Stadt der Mieter*innen. Der Mietendeckel wurde eben kassiert, das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ sammelt aktuell Unterschriften, während die Deutsche Wohnen in der Vonovia aufgehen soll. Welche Maßnahmen sind Ihres Erachtens im Wohnungsbau zu ergreifen, um die Lage zu entspannen?
Das Zweckentfremdungsverbot-Gesetz (ein Wortungetüm, das es in sich hat!) muss nachgeschärft und der Vollzug dieses Gesetzes durchgesetzt werden. Es darf nicht sein, dass – wie beispielsweise im Falle der Habersaathstraße 40–48 in Mitte – 106 bezahlbare Wohnungen in einem ehemaligen Schwesternwohnheim der Charité von 1984 (2006 energetisch saniert!) abgerissen werden sollen und eine Gesellschaft mit Sitz im Gewerbesteuerparadies Zossen sie aus Spekulationsgründen seit vielen Jahren überwiegend leer stehen lässt. Wohnungen dauerhaft leer stehen zu lassen, muss ein Bußgeld kosten, das weh tut und dazu führt, dass sie wieder vermietet werden. Abriss ist Ressourcenvernichtung, Sanierung geht vor Neubau!
Sie setzen sich bereits seit längerem für das ehemalige Kinder- und Jugendheim in Moabit von Grötzebach Plessow Neumann (1968–78) ein. Ein Teil des Ensembles soll rückgebaut werden und Platz machen für Wohnungen, die die landeseigene WBM schaffen möchte. Der markante Hauptbau soll erhalten bleiben. Warum ist das für Sie kein überzeugender Kompromiss?
Bei dem Gebäudeensemble handelt es sich um ein herausragendes Beispiel des Brutalismus, das in seiner Gesamtheit sowohl ästhetisch als auch funktional ausdrücklich auf die im Bebauungsplan II-91 von 1975 festgelegte Nutzung für die Jugendbetreuung hin konzipiert wurde. Dieser B-Plan ist bis heute gültig! Die einzelnen Gebäude des Ensembles verkörpern in ihrem Zusammenspiel in eigenschöpferischer Weise die sozial eminent wichtigen Nutzungen für Jugendbedürfnisse, die durch den Instandhaltungsrückstau in den vergangenen Jahren von der öffentlichen Hand sträflich vernachlässigt wurden, aber gerade heute dringlicher denn je in der Mitte der Stadt benötigt werden. Bei allem Respekt vor der erforderlichen Entwicklung von bezahlbarem Wohnraum stellt sich die Frage nach der Unausweichlichkeit der Zerstörung nicht nur dieses baukulturellen Gesamtkunstwerks – sondern auch nach der Vernichtung von grauer Energie und des sozialen Ortes! Die hohe architektonische Wirkkraft als Ausdruck gesellschaftlicher Reformen war zentrales Anliegen der Brutalisten. Dieser soziale Aspekt ist heute relevanter denn je!
Die Fragen stellte Gregor Harbusch.
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ixamotto | 03.06.2021 11:08 Uhr@auch ein architekt
Natürlich hat man als planender Architekt mit Immobilienspekulation und Wohnungsfrage zu tun, denn je stärker das kurzfristige Renditeinteresse des Entwicklers und die Chancen, dieses Interesse zu befriedigen, desto höher ist der Einsparungsdruck bei Entwurfs- und Planungsleistungen und desto geringer sind die Möglichkeiten ambitioniertere Lösungen jenseits der 0815-Tristesse im frei finanzierten Wohnungsbau zu verfolgen.