Natürliches Licht spielt im südlich der Sahara gelegenen Teil Afrikas nicht nur eine wichtige Rolle in der Struktur des täglichen Lebens, es ist in diesen Breitengraden auch von einer besonderen Intensität. Die Menschen sind auf die Sonne angewiesen und müssen sich zugleich vor ihr schützen. Das richtige Verhältnis von Licht und Schatten zu erzielen, ist daher ein maßgeblicher gestalterischer Aspekt in der vernakulären Architektur dieser Region. Das Resultat sind Bauten, die aus natürlichen Materialien wie Lehm, Holz und Gräsern bestehen oder unmittelbar in Felsen und Erdhügel integriert wurden. Sie kommen mit wenigen, kleinen Öffnungen aus und werden im Inneren nur durch einzelne Lichtinseln erhellt. Das Auge muss beim Betreten eine große Anpassungsleistung erbringen: Während draußen die gleißende Sonne blendet, ist im Dämmerlicht der Innenräume kaum etwas zu erkennen.
Mit dem vorliegenden Bildband Momentum of Light ist das Kunststück gelungen, dieses faszininierende Zusammenspiel von Licht, Schatten und Architektur eindrucksvoll auf Papier zu übertragen. Beauftragt wurde die aufwendig produzierte Publikation, die aus einer Zusammenarbeit zwischen dem Architekturfotografen Iwan Baan, dem Architekten Francis Kéré und dem Amsterdamer Designstudio Haller Brun hervorging, von der Zumtobel Group. Das auf Lichttechnik spezialisierte Unternehmen mit Sitz im österreichischen Dornbirn lädt seit 1991 namhafte Künstler*innen, Architekt*innen und Grafiker*innen ein, im Rahmen des jährlichen Geschäftsberichts drucktechnische Unikate zu gestalten. Auf der Liste der bisher Beteiligten finden sich unter anderem Olafur Eliasson, James Turell, Dominique Perrault, Sanaa, David Chipperfield und Werner Sobek.
Für das Buchprojekt reiste Iwan Baan zusammen mit Francis Kéré durch dessen Heimatland Burkina Faso, um die traditionelle Bauweise und ihren Umgang mit natürlichem Licht zu studieren. Die dabei aufgenommenen Fotografien zeigen die Große Moschee von Bobo-Dioulasso und Häuser in den Dorfverbänden Tiébélé, Pouni und Gando. Ihnen zur Seite gestellt sind Zeichnungen und ein Text von Kéré, der mit den subsaharischen Lichtkonzepten von klein auf vertraut ist und sie auch in seine eigenen Architekturentwürfe einfließen lässt. Eine seiner lebendigsten Kindheitserinnerungen, so berichtet er, sei die besondere Stimmung, wenn der Lichtkreis einer Petroleumlampe das nächtliche Dunkel durchbricht, während die Stimme der Großmutter Märchen erzählt. In den Innenräumen wiederum nehme das fokussiert eintretende Sonnenlicht eine skulpturale Qualität an. Lichtquellen ebenso wie Schatten spendende Bäume und Konstruktionen markieren die Orte, an denen sich die Menschen versammeln.
Die grafische Gestaltung des Bildbands unterstreicht die Hell-Dunkel-Kontraste, die Baan mit seiner Kamera des Tags und des Nachts eingefangen hat, durch die Wahl verschiedener Papiere und Druckverfahren. Während Außen- und Tageslichtaufnahmen kraftvoll auf hochweißen, glatten Seiten glänzen, wurde für die Innen- und Nachtmotive ein weiches, mattschwarzes Papier verwendet, das das Licht geradezu aufsaugt und nur an einigen Stellen metallisch leuchten lässt. Letzteres wurde durch eine spezielle Drucktechnik möglich, bei der erst Weiß und Silber aufgebracht wurden und dann ein Überdruck mit CMY-Farben erfolgte. Kérés Zeichnungen wiederum markieren auf einem semitransparenten Papier zugleich die jeweiligen Ortswechsel. Entstanden ist ein opulentes Buch, für dessen Betrachtung man fast schon weiße Handschuhe anziehen möchte.
Text: Diana Artus
Momentum of Light
Iwan Baan und Francis Kéré
Englisch
180 Seiten
Lars Müller Publishers, Zürich 2021
ISBN 978-3-03778-686-4
75 Euro