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25.07.2024

Hybrid-Flachs und gebogenes Holz

Forschungsbauten der Universität Stuttgart in Wangen im Allgäu


Auf dem Gelände der Landesgartenschau in Wangen im Allgäu wurden zwei Versuchsbauten des Exzellenzclusters IntCDC (Integratives computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur) der Universität Stuttgart realisiert. Seit vielen Jahren forschen das Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung ICD unter der Leitung von Achim Menges und das Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen ITKE unter der Leitung von Jan Knippers gemeinsam an robotergestützten Bauverfahren mit biobasierten Materialien. Bereits in der Vergangenheit haben sie mehrere Forschungsbauten umsetzen können: 2011 errichteten sie einen Pavillon in Leichtbauweise aus Holz, 2015 erprobten sie Carbonfasern, um eine Schalenkonstruktion auszubilden. Das Cluster entwickelt außerdem im Team mit der Universität Freiburg tragende Strukturen aus robotisch gewickelten Flachsfasern und setzte im Botanischen Garten der Freiburger Universität einen Pavillon um. Bei den beiden Neubauten in Wangen handelt es sich nun um Weiterentwicklungen alter Forschungsstände.

Der 23 Meter hohe Wangen Turm ist der weltweit erste begehbare Aussichtsturm, der gebogene Brettsperrholzelemente als flächenaktives Holztragwerk verwendet. Das Besondere daran: Das Holz bringt sich von alleine in Form. Bereits bei seinem Vorgänger im Remstal von 2019 hatte sich das Cluster die Eigenschaften des Holzes zu eigen gemacht. Dieser war für den DAM Preis 2021 nominiert. Ganz ähnlich wie ein Fichtenzapfen, der sich je nach Feuchtigkeitsgehalt öffnet und schließt, dreht und windet sich Holz, wenn es trocknet. Dazu wurden feuchtere Holzpaneele, die aktive Schicht, mit einem trockeneren Paneel unter hohem Druck verleimt. Mithilfe eines digitalen Modells konnte das Team das natürliche Schwinden des Fichtenholzes und einen kontrollierten Trocknungsprozess für das gewünschte Endresultat kalkulieren. Auch die relevanten Verbindungsstellen der Elemente wurden am Computer berechnet, was den Aufbau erleichterte.

Im neuen Hybrid-Flachs-Pavillon bildet eine Holz-Naturfaser-Hybridkonstruktion das markante, wellenförmige Dach. Das Team ließ zunächst Flachsfasern zu Garn verarbeiten, die robotisch auf Brettsperrholzplatten aufgespannt wurden. Durch die Verstärkung des dicht gespannten Netzes, das hauptsächlich Zuglasten aufnimmt, bringen die Bauteile die nötigen strukturellen Eigenschaften mit, um auch den hohen Schneelasten in der Region standzuhalten. Gleichzeitig überspannt die Konstruktion bis zu 8,6 Meter und erzeugt einen stützenfreien Innenraum. Durch den kreisförmigen Grundriss und die umlaufende Pfosten-Riegel-Fassade entsteht ein fließender Übergang zwischen Innen- und Außenraum. Der „Klimagarten“ im Zentrum des Baus ermöglicht eine Querlüftung. In Kombination mit der geothermisch aktivierbaren Bodenplatte aus recyceltem Beton kann laut Planenden das ganze Jahr über eine komfortable Raumtemperatur sichergestellt werden.

Während des Planungsprozesses stellte das Forschungscluster diverse Prototypen im Co-Design-Ansatz mit Fachexpert*innen her. In mehreren Rückkopplungen zwischen architektonischen Anforderungen, statischer Analyse, Einschränkungen aus der Fertigung und den Materialeigenschaften wurden die Bauteile schrittweise optimiert. Der finale Entwurf konnte im Anschluss an die Industriepartner übergeben werden, die die 20 Hybridbauelemente in Serie vorproduzierten. Um die Lücke zwischen Forschung und Industrie zu schließen, integrierte das Forschungsteam die Fertigungsplanung in den computerbasierten Entwurf. Dafür entwickelte es eine neue Software, die geometrische Daten in ausführbare Maschinencodes umwandelt. Dies ermöglichte eine präzise Vorfertigung, sodass lokale Handwerksbetriebe den 380 Quadratmeter großen Bau in nur acht Tagen aufbauen konnten.

Die Forschungsarbeit zu biobasierten Hybrid-Bausystemen wird an der Universität Stuttgart fortgesetzt. (sin)

Fotos: Roland Halbe
Conné van d’GrachtenChristoph Morlok


Zum Thema:

Den Pavillon von 2021 in Freiburg hat baunetz Campus ausführlich vorgestellt.
Weitere Informationen zum Cluster gibt es unter intcdc.uni-stuttgart.de


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Der Wangen Turm und der Hybrid-Flachs Pavillon auf dem Gelände der Landesgartenschau in Wangen.

Der Wangen Turm und der Hybrid-Flachs Pavillon auf dem Gelände der Landesgartenschau in Wangen.

Der Wangen Turm kann über die innenliegende Treppe bestiegen werden.

Der Wangen Turm kann über die innenliegende Treppe bestiegen werden.

Innenansicht des Hybrid-Flachs-Pavillons.

Innenansicht des Hybrid-Flachs-Pavillons.

6-Achs-Roboterarm der Universität Stuttgart wickelt den Flachs.

6-Achs-Roboterarm der Universität Stuttgart wickelt den Flachs.

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