Das globale Bevölkerungswachstum gepaart mit der erwarteten Zunahme von Wetterextremen stellt die Ernährungspolitik vor vielfältige Herausforderungen. Eine ganz konkrete Frage lautete etwa: Wie werden wir uns zukünftig mit gesundem Gemüse versorgen können? Die Gemeinde Romainville im Nordosten von Paris sieht eine Antwort auf diese Frage in der Landwirtschaft in urbanen Räumen. Deshalb genehmigte sie 2013 in einem Stadtentwicklungsplan agrikulturelle Nutzungen im gesamten Bezirk. In diesem Kontext haben
ilimelgo (Paris) mit der
Cité Maraîchère im Auftrag der Stadt jüngst eine sozial orientierte Forschungseinrichtung für urbane Landwirtschaft und nachhaltige Ernährung realisiert.
Die
Cité will ein Ort der landwirtschaftlichen, gesellschaftlichen, architektonischen und technischen Innovation sein. Sie bedient sich dabei traditioneller und moderner gärtnerische Praktiken, um hochwertige Lebensmittel mit kurzen Lieferketten zu produzieren. Haustechnisch-architektonische Grundlage bildet ein „kontrolliertes bioklimatisches Umfeld“ in einer leistungsfähigen thermischen Hülle, das technische Klimasysteme mit natürlicher Belüftung und Sonnenlicht als Energiequelle kombiniert. Die Aufgabenstellung forderte die Einhaltung einer Reihe funktionaler Anforderungen: eine einheitliche Glasfassade (die das Tageslicht optimal ausnutzt und möglichst gleichmäßig verteilt), optionaler Sonnen- und Wärmeschutz sowie die Sammlung und Nutzung von Regenwasser.
Auf gut 2.000 Quadratmetern Grundfläche entstanden zwei parallel positionierte Riegel, die bis zur vierten Etage miteinander verbunden sind. Die großen, kippbaren Glasflächen sind durch das rote Stützensystem aus Beton visuell gerahmt. Die zwei ebenfalls verglasten Satteldächer lassen sich vollständig aufklappen und präsentieren sich als klassische Gewächshäuser in luftiger Höhe. In allen oberen Etagen gibt es Pflanzkübel und -töpfe, teils flexibel auf Rollen oder übereinandergestapelt. Lichtempfindliche Pflanzen wie Chicorée oder Pilze werden im Untergeschoss gezüchtet, wo sich auch die technische Ausstattung befindet.
Verknüpft mit der Produktion von Lebensmitteln dient das Projekt auch der Forschung zu Landmanagement und der Optimierung von Bodennutzung sowie dem Einfluss auf die Luftqualität und die Reduzierung von Wärmeinseln in innerstädtischen Räumen. Bereits im Planungsprozess waren deshalb mehrere Spezialist*innen beteiligt, unter anderem die Expert*innen für urbane Agronomie
terreauciel (Toulouse),
étamine (Paris) als Planungsbüro für Umweltqualität und das Landschaftsgarten-Laboratorium
land’act (Levallois).
Im Erdgeschoss finden Räume für pädagogische Aktivitäten und Veranstaltungen sowie eine Kantine Platz. Der dabei mitschwingende soziale Aspekt ist ein weiterer relevanter Anspruch des Projekts, denn es liegt im Marcel-Cachin-Viertel mit seinem großen Sozialwohnungsbestand aus den 1960er Jahren. Als eines der
Banlieues von Paris ist das strukturschwache Quartier Teil der Sanierungsmaßnahme im Rahmen der Agence Nationale pour la Rénovation Urbain. Ziele der Cité Maraîchère, die auf eine Initiative von Bürgermeisterin
Corinne Valls zurückgeht, sind deshalb auch die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Stärkung der Gemeinschaft, die Sensibilisierung für den Umgang mit Energieressourcen und die Vermittlung von Ideen zur Kreislaufwirtschaft.
(stu)
Fotos: Sandrine Marc, Guillaume Maucuit Lecomte, Paul Lengereau
Zum Thema:
www.lacitemaraichere.com
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UndNu | 08.12.2021 10:51 Uhr...
wow hier gibts ja Experten die kennen sich mit allem aus. Hätte das Forschungsteam mal meinen Vorredner vorher gefragt...
Das Thema ist spannend und wichtig. Ist ja auch ein Nachdenken über neue Typologien. Ob dafür Neubau nötig ist - und damit mehr neue Baumasse - oder sich so etwas besser mit dem Bestand in der Stadt realisieren lässt, wäre auch mal wert zu untersuchen.