Wer Istanbuls neuen Flughafentower auf der Karte finden will, sucht die Nadel im Teerhaufen. Inmitten der riesigen Flughafenlandschaft gleicht er einem Diamanten, über Jahrhunderte durch Hitze und Druck geformt und nun nicht mehr kleinzukriegen. Der knapp 95 Meter hohe Turm, ein Entwurf des norditalienischen Büros Pininfarina (Cambiano), ist eher Skulptur als Architektur. Kein Wunder – Pininfarina designt seit 1930 einfach alles: Autos, Schiffe, Seilbahnen und eben auch Architektur.
Neben den Visualisierungen von Pininfarina gibt es erst wenige Fotos des fertiggestellten Projekts – der im Oktober vom türkischen Präsidenten Erdoğan eröffnete Flughafen operiert derzeit noch im eingeschränkten Betrieb und trägt den provisorischen Namen Istanbul New Airport. Ab Januar 2019 soll er den jetzigen Internationalen Flughafen Istanbul-Atatürk ablösen und dessen offizielles Kürzel IST übernehmen. Der New Airport befindet sich 40 Kilometer nordöstlich des Stadtzentrums und damit wie der Atatürk-Flughafen auf der europäischen Seite Istanbuls – schließlich soll er Europas, wenn nicht sogar der Welt größter Flughafen nach Passagieraufkommen werden.
2015 konnte sich Pininfarina gegen fünf Konkurrenten im Wettbewerb durchsetzen. Dieser war von İGA Havalimanı İşletmesi A.Ş. ausgeschrieben worden, einer eigens für den Flughafenneubau gegründeten Firma, bestehend aus fünf Investoren. Sie will den New Airport für 25 Jahre betreiben und unterhält seit ihrem Bestehen auch den im asiatischen Teil Istanbuls liegenden Flughafen Sabiha Gökçen sowie sechs weitere türkische Flughäfen. Die weiteren Mitstreiter im damaligen Wettbewerb: Zaha Hadid, Moshe Safdie, Grimshaw-Nordic, Massimiliano Fuksas sowie RMJM Architects. Verglichen mit Zaha Hadids Enwurf ist der von Pininfarina sehr organisch und geschwungen. Das Büro konnte damit die auf regionale Architekturelemente und innovative Konzepte bedachte Jury überzeugen.
Beweglich ist der Joystick zwar nicht, doch gibt es in ihm viel Bewegung. Das Nutzungskonzept des Towers ist nämlich erstaunlich vielfältig für ein Gebäude, das vor allem zum Sichern und Überwachen dient. Der Turm bietet unter anderem auch eine Sporthalle, Schlaf- und Ruheräume sowie eine Dachterasse, die sich auf dem Sockelgebäude befindet. Der Bau, bei dem sich die Architekten von der Form einer Tulpe inspirieren ließen, ist als zyklischer Kreislauf angelegt: Während im Sockelgebäude ausgebildet wird, arbeitet man in der Spitze – mit Blick auf Europa. Interessanterweise betritt man den Turm im Erdgeschoss, hätte man dieser Logik folgend doch eher mit einem unterirdischem Tunnel gerechnet.
Der Tower ruht auf festen Fundamenten. Massiver Beton ist tief in den Boden gegraben und verwurzelt die Tulpe in der stark erdbebengefährdeten Region. Die beiden Flügel an den Seiten sind aus Stahl – sie halten den Mittelturm zwar ästhetisch, nicht aber konstruktiv. Energetisch ist das Gebäude autark. Abwasser wird wiederaufbereitet, Strom mit Solarkollektoren erzeugt, die Spitze spendet Schatten für den Sockel – der Flughafenturm hat nicht nur eine repräsentative Fassade vorzuweisen, sondern entpuppt sich als wahres Multitalent.
Text: Tom Brennecke
Visualisierungen und Fotos: Pininfarina
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modulor | 07.11.2018 21:25 UhrDas perfekte Beispiel
Architektur ist kein Auto.