Am Sonntag eröffnet in Eisenhüttenstadt die Ausstellung „Ohne Ende Anfang. Zur Transformation der sozialistischen Stadt“ im Museum Utopie und Alltag. Die Ausstellung zeigt die drei sozialistischen Planstädte Eisenhüttenstadt, Schwedt und Nowa Huta, inzwischen ein Stadtteil Krakaus von der Gründungsgeschichte bis zu den heutigen Schwierigkeiten bei der Suche nach einer sowohl post-sozialistischen als auch post-großindustriellen Gegenwart und Zukunft. Dazu trafen wir die Museumsdirektorin Florentine Nadolni.
Interview: Florian Heilmeyer
Frau Nadolni, Sie stellen ab Sonntag unter dem schönen Titel „Ohne Ende Anfang“ drei Städte nebeneinander: Eisenhüttenstadt, Schwedt und Nowa Huta. Was verbindet diese drei Städte?
Florentine Nadolni: Zunächst war der Auf- und Ausbau aller drei Städte mit industriellen Zentren verbunden – Eisenhüttenstadt und Nowa Huta mit der Stahlindustrie, Schwedt vor allem mit dem Petrolchemischen Kombinat. Damit standen sie im Zentrum staatlicher Strukturpolitik, sie sollten Ausdruck und Aushängeschild des sozialistischen Gesellschaftssystems sein. So wurden sie auch in besonderer Weise medial und gegenüber „dem Westen“ präsentiert und vermarktet. In Eisenhüttenstadt, Nowa Huta oder Schwedt sind die Leitlinien einer „sozialistischen Stadt“ daher besonders klar abzulesen: Das sind insbesondere die hierarchisch organisierten, kompakten Stadtformen mit einem eindeutigen Zentrum, dann die Wohnkomplexe mit je eigenen Versorgungseinrichtungen und eine strikte Trennung von Wohnen und industrieller Arbeit. Sie verbindet außerdem, dass ihre Gründungsphasen von starkem, schnellem Bevölkerungswachstum geprägt waren, es kamen vor allem junge Familien. Der gemeinsame Aufbau einer neuen Gesellschaft und Stadt, Industriearbeit, Jugend und Wachstum bestimmten lange Zeit die Stadtentwicklung wie die Selbst- und Fremdwahrnehmung. Diese Identitäten sind mit dem Wandel 1989/1990 abrupt verloren gegangen. So waren alle drei Städte gezwungen, neue Instrumente zu entwickeln, wie sie mit dieser neuen Schrumpfung, mit Abwanderung und Alterung umgehen.
Und was unterscheidet die Städte?
Während Eisenhüttenstadt und Nowa Huta in den ersten Nachkriegsjahren entstehen und ihre Kernstädte durch einen „sozialistischen“ Klassizismus geprägt sind, bestimmen in Schwedt die industriellen Bauweisen ab den 1960er-Jahren die Stadtgestalt. Schwedt ist der Versuch, das Ideal einer ganzheitlich gestalteten, sozialistischen Stadt – unter anderem unter temporärer Mitarbeit des Bauhäuslers Selman Selmanagić – mit kurzen Wegen auf die Maßstäbe des industriellen Bauens zu übertragen. Das ist idealistisch, wird aber nur in Teilen realisiert. Dann musste schneller und günstiger gebaut werden. Diese Wendung zeigen wir in der Ausstellung in den eindrücklich sachlichen Bildern des Fotografen Rudolf Hartmetz. Nach einer ersten Phase in den 1990er-Jahren, in denen man die Schrumpfung nicht wahr haben wollte oder als vorübergehendes Phänomen abtat, begann der „Stadtumbau Ost“ in Schwedt und Eisenhüttenstadt mit derselben Strategie: Abriss der Wohnkomplexe am Stadtrand, um den Kern zu stabilisieren. Beide Städte sind für ihre Leistungen im Stadtumbau mit Preisen ausgezeichnet worden, dennoch haben beide gut die Hälfte ihrer Bevölkerung verloren. Die Situation in Nowa Huta am Rand von Krakau ist anders. Auch hier führte die Privatisierung der Industrie zu Massenentlassungen, zu Arbeits- und Perspektivlosigkeit, Abwanderung. Doch trotz der Schließung des letzten Hochofens 2020 ziehen wieder junge Menschen und Familien nach Nowa Huta. Dank ihrer räumlichen Qualitäten sind vor allem die Quartiere der ersten Aufbaujahre begehrt. Dazu kommen ein hohes internationales Fachinteresse und ein erwachender Tourismus. Das Negativimage Nowa Hutas scheint überwunden.
Sind solche Wiederentdeckungen auch in Eisenhüttenstadt und Schwedt festzustellen, die beide nicht an eine historisch gewachsene Großstadt angebaut wurden?
Für Eisenhüttenstadt registrieren wir ebenfalls ein wachsendes Interesse von außen. Forschungsarbeiten, Symposien, künstlerische Projekte setzen sich seit den 1990er Jahren mit der Modellstadt auseinander – eine ungebrochene Faszination, zunehmend auch für Touristen und Filmgesellschaften. Zuzug ist jedoch noch nicht zu verzeichnen. Auch wenn es nach 1990 gelang, das Stahlwerk zu erhalten, ist die Stadt noch immer eine der am stärksten schrumpfenden in Brandenburg. Auf den Abrissstellen der Plattenbauten entstehen seit Neuestem partiell Einfamilienhäuser, um Familien in der Stadt zu halten. Im denkmalgeschützten Zentrum wurden erhebliche Sanierungen vorgenommen, auch um die Altbauten altersgerecht bewohnbar zu machen. Dass die besondere Stadtgestalt und Stadtgeschichte auch für die Zukunft ein Potenzial birgt, denke ich schon. Neben Tourismus und Filmindustrie könnte die anspruchsvoll großzügig und grün angelegte Stadtanlage gemeinsam mit den entstehenden Freiräumen attraktiv für Menschen sein, die diese Qualitäten andernorts nicht mehr finden oder bezahlen können – Arbeit, Mobilität sowie soziale und kulturelle Infrastruktur vorausgesetzt.
Geht es in der Ausstellung also „nur“ um einen Spezialfall der (ost-)europäischen Geschichte: die sozialistische Idealstadt?
Ja und nein. Es geht darum, den Blick zu schärfen für die Besonderheiten dieses Stadttyps. Zugleich geht es um allgemeine Konzepte der Stadt der Moderne, um die Idee der umfassenden Planbarkeit von Städten und den Glauben an fortwährendes Wachstum. Das Scheitern dieser Ideen ist nicht auf die sozialistische Stadt und den Bruch um 1990 beschränkt. Schrumpfung ist kein spezifisch ostdeutsches oder osteuropäisches Phänomen, sondern ein weltweites und auch historisch bekanntes. Allerdings zeigte sich Schrumpfung in Ost- und Mitteleuropa nach 1990 besonders drastisch. Der Zusammenbruch ganzer Industrien quasi über Nacht – das war eher Strukturbruch als Strukturwandel. Es geht also um die Entwicklung und Erprobung neuer Instrumente und Selbstverständnisse in Schrumpfungskontexten in Ost und West, Nord und Süd. In allen drei Städten, die wir in der Ausstellung präsentieren, sind Qualitäten angelegt, die nach wie vor von Interesse sind: großzügige, grüne Stadtanlagen, bezahlbares Wohnen, Vereinbarkeit von Wohnen und Arbeiten, Nachbarschaften mit gut erreichbarer sozialer und kultureller Infrastruktur. Hinzugekommen sind gesellschaftliche und städtische Freiräume. Letztendlich geht es um die Frage: „Wie wollen wir leben?“
Wie zeigen Sie all das in der Ausstellung in Eisenhüttenstadt?
Wir zeigen städtebauliche Pläne, Modelle und Fotografien – sowohl historische Aufnahmen wie die von Walter Fricke oder Rudolf Hartmetz als auch aktuelle Arbeiten zu Schwedt und Eisenhüttenstadt von Martin Maleschka. Wir zeigen auch die Installation „DDR Noir“ der Künstlerin Henrike Naumann. Die künstlerische Perspektive auf Aspekte der Kulturgeschichte und Transformation ist uns wichtig. Dazu kommt ein ungewöhnliches, raumgreifendes Stadtmodell, das Martin Maleschka aus Objekten unserer alltagskulturellen Sammlung der DDR-Zeit geschaffen hat. Nicht zuletzt starten wir die Ausstellungslaufzeit mit einem leeren Raum, der für die Ideen, Visionen und Entwürfe der Besucher*innen frei ist. Die Ausstellung ist also nicht fertig, sondern wird jede Woche um Perspektiven reicher. Ohne Ende Anfang eben.
Ausstellung „Ohne Ende Anfang“: 4. Juli 2021 bis 29. Mai 2022, Di-So 11-17 Uhr
Ort: Museum Utopie und Alltag, Standort Eisenhüttenstadt, Erich-Weinert-Allee 3, 15890 Eisenhüttenstadt, www.utopieundalltag.de
Zum Thema:
Zum 70. Stadtjubiläum von Eisenhüttenstadt erschien die BAUNETZWOCHE#577 „70 Jahre Eisenhüttenstadt“ am 22. April 2021.
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