Fast sieben Jahre stand es leer, seit gestern ist es wieder zugänglich – zumindest für einige Tage: Das Internationale Congress Centrum in Berlin ist Spielort des Festivals „The Sun Machine is Coming Down“. Ein dichtes Programm zwischen Kunst, Film und Performance interpretiert nicht nur kongenial die Architektur, sondern eröffnet auch eine wichtige Perspektive für die Zukunft.
Von Stephan BeckerDas ICC lasse an diesem Morgen an Los Angeles denken, schreibt jemand auf Instagram, und es stimmt. Der Maßstab des riesigen, scheinbar schlafenden Gebäudes, die staubige Farbigkeit der Alupaneele, der Dauerstau auf dem Freeway vor der Tür, alles passt. Und der blaue Himmel des milden Oktoberwetters tut sein Übriges. Während des ersten Tages des Festivals „The Sun Machine is Coming Down“, das noch bis
Sonntag, 17. Oktober 2021 läuft, beweist der Ort am westlichen Rand der Berliner Innenstadt spielend sein Potenzial als Projektionsfläche für andere urbane Lebensweisen. Dass es sich dabei auch um ein Fragment längst überkommener Mobilitätsvisionen handelt – geschenkt. Denn gerade mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist man schnell vor Ort.
Im Inneren dann nicht Kalifornien, sondern Weltraum, Spaceage-Architektur gemischt mit Hightech- und Maschinenästhetik. Unheimliche Geräusche gibt das Gebäude von sich, eine Soundinstallation von
Richard Janssen, die zusammen mit dem Neonleitsystem von
Frank Oehring und den geheimnisvoll leuchtenden Vitrinen von Markus Selg tatsächlich das Gefühl vermittelt, hier in einem lebenden Organismus gelandet zu sein. Was einem ebenfalls auffällt, ist nicht nur der exzellente Erhaltungszustand und die Detailfreude der Innenausstattung, sondern auch die ungewöhnliche Komplexität der Architektur. Es geht Treppen hinauf und hinunter, zahllose Nischen, Haupt- und Nebenachsen, Ausblicke an den Rändern und Querbezüge im Inneren. Und trotz seiner Größe fehlt dem Gebäude, das von
Ralf Schüler und
Ursulina Schüler-Witte in den späten 1960er Jahren entworfen und bis 1979 errichtet wurde, jeglicher autoritärer Gestus. Und bei aller barocker Fülle hat die Architektur nichts Bombastisches, sieht man vielleicht vom Saal 1 mit seinen 5.000 Sitzplätzen ab, in dem ein beeindruckendes Filmprogramm aus der Sammlung von
Julia Stoschek läuft.
Die besondere Architektur, die trotz ihrer Größe oft auch seltsam wohnlich wirkt, nutzen die
Berliner Festspiele anlässlich ihres 70. Geburtstags als Spielort für ihr Jubiläumsfestival. Dessen Titel ist einer Zeile aus David Bowies Song „Memory of a Free Festival“ entlehnt, der melancholisch Rückblick hält auf einen längst vergangenen Moment des Aufbruchs. Das passt natürlich gut zum ICC, das ebenfalls von einem etwas in Vergessenheit geratenen Versprechen zeugt: dem einer alternativen Moderne, intensiv und hochverdichtet, aber eben auch unhierarchisch und voller Gleichzeitigkeit. Wer hier an Constant Niewenhuys' Ideal vom umherschweifenden Homo Ludens in seiner Vision eines „New Babylon“ denkt, liegt nicht ganz falsch. Und man merkt dem Festival unter Leitung von
Thomas Oberender an, wieviel Erfahrung die Festspiele mit der Inszenierung besonderer Orte haben. Tatsächlich gelingt es dem Team mit seiner Sonnenmaschine, eine solche inhärente Vision des ICCs greifbar zu machen: ein Ort, an dem alles immer schon begonnen hat, der einem aber niemals das Gefühl vermittelt, etwas zu verpassen. Gute Voraussetzungen, um sich auf das vielschichtige Programm zwischen Installation, Musik, Film und Performance mit offener Neugierde einzulassen.
Nicht ganz falsch ist es darum, das Festival zugleich als eine Art Simulation zur Zukunft des ICC zu verstehen. Seit 2014 steht das Gebäude bekanntlich leer, sieht man von einigen Filmdrehs und einer kurzen Zwischennutzung als Geflüchtetenunterkunft ab. Der Messegesellschaft war der Betrieb trotz guter Auslastung irgendwann zu teuer geworden, und der Sanierungsdruck ist hoch. Ein Abriss war zwischenzeitlich im Gespräch, ist aber wieder vom Tisch, längst steht das Gebäude auch unter
Denkmalschutz. Trotz zahlreicher Vorschläge aus verschiedenen Richtungen fehlt der Politik bisher der Mut, um das Thema ICC angesichts der vielen, tatsächlich nicht geringen Herausforderungen anzugehen. Mit „The Sun Machine“ könnte nun aber eine Richtung vorgegeben sein, die das ICC als kulturell geprägten Ort des Austauschs und der Zusammenkunft etabliert.
Wer nun angesichts einer kulturellen Nutzung, die ja angeblich nur kostet, und mit Blick auf den stattlichen Sanierungsbedarf die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, dem sei ein genaueres Studium der vielen schon angedachten Ideen empfohlen. Insbesondere die
Initiative ICCC um
Bureau N und
Something Fantastic sei hier erwähnt, weil es ihr gelingt, eine räumliche Analyse mit konkreten ökonomischen Ideen zu verknüpfen. Ihr Center for Contemporary Culture sieht eine typische Berliner Mischung aus kulturwirtschaftlichen Kleinteiligkeit und größeren Nutzern vor, zu denen auch weiterhin die Messegesellschaft gehören könnte – der Bedarf ist jedenfalls da. Ein Hotelneubau anstelle des explizit nicht denkmalgeschützten Parkhauses würde außerdem einen weiteren ökonomischen Beitrag leisten. Ein großer Vorteil auch im Blick auf die Betriebskosten wäre dabei eine Nutzung des Gebäudekomplexes praktisch rund um die Uhr.
Vor einem solchen Hintergrund könnte das ICC von einer schwierigen Hinterlassenschaft der autofreudigen Berliner Vergangenheit plötzlich zu einem Zukunftsort werden. Ein Raum für Offenheit, wo sich angesichts der mit dem Schloss nun rückwärtsgewandt zu Ende gebauten Mitte der Aufbruchsgeist der Nachwendejahrzehnte weiterentwickeln lässt. Historisch wäre das natürlich nicht ohne Ironie. Schon vor etwas mehr als 100 Jahren war der Westen Berlins schließlich der Teil der Stadt, an dem sie sich auf mondäne Weise neu erfand, während die autoritäre preußische Mitte langsam aus der Mode kam.
Fotos: Eike Walkenhorst, Nuno Cera„The Sun Machine is Coming Down“, noch bis 17. Oktober 2021, täglich geöffnet zwischen 14 bzw. 16 und 23 Uhr.
Am 14. Oktober um 19 Uhr wird im Rahmen des Festivals außerdem noch ein ARCH+ feature zum Thema „Größe wagen!“ im ICC stattfinden. Moderiert von Anh-Linh Ngo werden Oliver Elser, Thomas Flierl und Regine Leibinger über die Zukunft des Gebäudes sprechen.
www.berlinerfestspiele.de
Zum Thema:
Der Zukunft einer weiteren schwierigen Berliner Ikone ist auch die aktuelle Baunetzwoche gewidmet: Modellverfahren Mäusebunker
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Schlawuki | 13.10.2021 13:15 UhrMacht was draus
Liebe Berlinerinnen und Berliner,
Ich komme ja persönlich aus dem doofen München. Bin aber mit einer Berlinerin verheiratet.
Wir streiten uns selten, aber unter anderem dann wenn wir nach Berlin fahren und das Navi zufällig den Weg so wählt das wir am ICC vorbeifahren.
Dieses Gebäude hat mir schon vor vielen Jahrzehnten, als ich noch garnicht wusste das ich mal Architekt werde schon Schauder über den Rücken gejagt.
Deswegen macht was draus.
Liebe Berlinerinnen und Berliner