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25.10.2019
Soziale Rendite in der Alten Samtweberei
Fabrikumnutzung in Krefeld
Rund um die Alte Samtweberei in Krefeld entsteht seit einigen Jahren eine neue Nachbarschaft, die auf ungewöhnliche Weise Wohnen und Arbeiten miteinander verknüpft. Günstige Mieten sind hier die Basis für soziales Engagement. Der Architekt Heinrich Böll hat die Umnutzung geplant, die inzwischen mehrfach ausgezeichnet wurde. Unser Autor war vor Ort und hat sich das Projekt angesehen.
Von Klaus Englert
Man mag es kaum glauben: Das niederrheinische Krefeld war vor hundert Jahren eine wirtschaftlich florierende Stadt, reich geworden durch die Textilproduktion. Mies van der Rohes Häuser Esters und Lange im Villenviertel der Stadt waren Auftragsprojekte der Unternehmer Josef Esters und Hermann Lange. Ebenso stand sein Fabrikgebäude für die Verseidag (Vereinigte Seidenweberei Aktiengesellschaft), das erst vor einigen Jahren wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit rückte, für die Prosperität der örtlichen Industrien. Auch die Produktionsstätte der Samtweberei, in den 1880er Jahren in Nähe des Bahnhofs errichtet, trug zur Glanzzeit von Krefeld bei.
Diese Zeit ist längst vorbei und im sogenannten Samtweberviertel zeugen etliche marode und baufällige Wohnhäuser von einer prekären Gegenwart. Zwischen Alexander- und Corneliusplatz, zweifellos noch intakte städtische Inseln, ist die verblichene Herrlichkeit an den Fassaden der gründerzeitlichen Häuser ablesbar. Auf einem Eckgrundstück der Lewerentzstraße erstreckt sich der rote Backsteinbau der Samtweberei. Nachdem die Produktion in den 1970er Jahren aufgegeben werden musste und in der Nachfolgezeit die Stadtverwaltung in das sogenannte Pionierhaus von 1960 einzog, setzten schließlich sechs Jahre Leerstand dem denkmalgeschützten Bauwerk erheblich zu. Erst ein überzeugendes Konzept der Montag Stiftung, die das Gebäude 2014 durch einen Erbbaurechtsvertrag mit der Stadt Krefeld erwarb, brachte die Wende. Die mit der Stadt ausgehandelten Vertragsbedingungen regeln, wie die umgenutzte Samtweberei zum Initialprojekt für die Erneuerung der Südweststadt werden kann.
Henry Beierlorzer, Projektentwickler und Geschäftsführer der gemeinnützigen Projektgesellschaft „Urbane Nachbarschaft Samtweberei“, spricht in diesem Zusammenhang vom „Investieren in eine soziale Rendite“. Dabei steckt die Projektgesellschaft alle Überschüsse aus der Vermietung in die Quartiersförderung. Bei den Vertragsverhandlungen habe man sich, erklärt Beierlorzer, mit der Stadtverwaltung geeinigt, in der Samtweberei nicht nur Wohnungen und Büros einzurichten, sondern die Mieter – als Gegenleistung für günstige Mieten – ehrenamtlich mit sozialen Aufgaben im Quartier zu betrauen: „Etwas soll ins Viertel ausstrahlen, es geht hier um Nachbarschaften.“ Anlaufstelle ist das „Nachbarschaftszimmer“, in dem öffentliche Veranstaltungen stattfinden und die Initiativen koordiniert werden. Diese Idee ist grundlegend für die gemeinnützige Gesellschaft, die sich dadurch von der „flachen“ Organisation einer Genossenschaft unterscheidet.
Beierlorzer konnte das Essener Architekturbüro von Heinrich Böll für die Umnutzung der Samtweberei gewinnen. Böll spezialisierte sich bereits vor vielen Jahren darauf, den großen Bestand der Industriearchitektur im Ruhrgebiet zu erhalten. Sein bekanntestes Projekt dürfte die Umnutzung der Essener Zeche Zollverein sein, die 2002 zum Weltkulturerbe erklärt wurde. 2017 konnte er schließlich die bauliche Verwandlung der alten Samtweberei erfolgreich abschließen.
Die leitende Maxime des Trägervereins bestand darin, die Investitionen möglichst gering zu halten, um damit relativ günstige Mieten zu gewährleisten. Maßgebend war also nicht die übliche renditeorientierte Investorenmentalität. Deswegen wurde im Pionierhaus vieles der Eigeninitiative überlassen. So braucht man sich nicht wundern, dass in den Räumen der Projektgesellschaft zwar eine Toilette, aber kein Handwaschbecken vorhanden ist. Anders sieht es selbstverständlich in den gediegenen Räumen eines ebenfalls dort ansässigen Architekturbüros aus.
Böll hat die beiden denkmalgeschützten Produktionsgebäude mit viel Gespür für den Charme der Industriearchitektur transformiert. An der Hofseite fügte er Laubengänge hinzu, die drei Wohneinheiten miteinander verbinden. Die Fassade wurde eingeschnitten, um eine bessere natürliche Belichtung der Wohnungen zu erreichen. Insgesamt umfasst die Samtweberei 37 Wohneinheiten mit einer Fläche zwischen 25 und 140 Quadratmeter. 150 Personen, die hier leben und arbeiten, tragen dazu bei, dass das Samtweberviertel wieder etwas lebendiger geworden ist. Ohne die öffentlichen und halböffentlichen Bereiche, für die unter anderem die Landschaftsarchitektin Elke Lorenz (Düsseldorf) verantwortlich war, wäre das nur schwer zu erreichen gewesen. Als weitere Projektbeteiligte sind Strauß & Fischer (Krefeld) und Davids + Terfrüchte Freiraumplaner (Essen) zu nennen.
Viel Raum für Veranstaltungen bietet auch die im Hof gelegene Shedhalle, in der einst die Webstühle standen. Allerdings wirken der kleine Kleidershop und der Buchladen in der großen Halle doch etwas verloren. Im Trend der Zeit haben sich natürlich auch die „Samtweber“ dem Urban Gardening verschrieben. Nur – wie es scheint – sind sie noch auf der Suche nach einem Mitglied mit grünem Daumen.
Fotos: Klaus Englert, Marcel Rotzinger / Rotgestalt
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