In der Europäischen Union entfallen 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der Treibhausgasemissionen auf den Gebäudesektor. 75 Prozent der Bestandsgebäude in der EU sind nicht energieeffizient, wobei davon derzeit nur ein Prozent jährlich renoviert werden – in Deutschland ca. 1,49 Prozent. Mit der Initiative der „Europäischen Renovierungswelle“ könnten laut Angaben der Europäischen Kommission bis 2030 schätzungsweise 35 Millionen Gebäude renoviert und bis zu 160.000 zusätzliche grüne Arbeitsplätze im Baugewerbe geschaffen werden. Sie bildet einen Eckpfeiler zur Umsetzung des Green Deals mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050. Eine Rolle spielt dabei auch das Neue Europäische Bauhaus.
Von Alexander Stumm
Die „Europäische Renovierungswelle“ ist eine von der Europäischen Kommission am 14. Oktober 2020 ins Leben gerufene Initiative zur Verbesserung der Energieeffizienz des Gebäudebestands. Wichtige Leitaktionen umfassen: strengere Vorschriften, Standards und Informationen in Bezug auf die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden als Anreiz für mehr Renovierungen im öffentlichen und privaten Sektor, die Ausweitung des Marktes für nachhaltige Bauprodukte und -leistungen, gezielte und vereinfachte Finanzierungsmöglichkeiten im Rahmen des Aufbauplans NextGenerationEU. Sie ist Teil des Green Deal zu dem auch das Neue Europäische Bauhaus gehört. Es geht um wirtschaftliche Entwicklung, energetische Nachhaltigkeit, Stärkung des sozialen Zusammenhalts und Solidarität.
Für die Renovierung von Bestandsbauten gibt es bekanntermaßen viele gute Gründe: Dazu zählen die Einsparung von Baumaterialien und Bauschutt, was zur Reduktion von Treibhausgasemissionen führt. Dazu gehören aber auch soziale Aspekte wie die verträgliche Aufwertung von Wohnraum und damit die Möglichkeit zur Bekämpfung von Ungleichheiten, die beim Prinzip Abriss und Neubau mit Luxusapartments nicht gegeben ist. Nun zirkuliert die Idee unter Begriffen wie „Reduce Reuse Recycle“, „Urban Mining“, „Umbaukultur“, „Weiterbauen“ oder „Bauen im Bestand“ im Architekturdiskurs seit Jahren. Seitdem sie von oberster europäischer Entscheidungsebene forciert wird, ist jedoch richtig Kapital dahinter. Die EU kann in den kommenden Jahren mit dem mehrjährigen Finanzrahmen 2021–2027 und dem Aufbaupaket NextGenerationEU auf außerordentlich umfangreiche finanzielle Ressourcen zurückgreifen. Zusammengenommen belaufen sich diese beiden Instrumente auf rund 1,8 Billionen Euro. Viel Geld will richtig eingesetzt werden, sonst kann es auch bei einer guten Idee kontraproduktiv wirken.
Gegen Energiearmut und für sozialen Zusammenhalt
Am 19. März 2021 hat der Europäische Ausschuss der Regionen (AdR), ein Beratungsausschuss ohne exekutive, legislative und judikative Kompetenzen, an die Europäische Kommission appelliert, die Renovierungswelle mit konkreten Maßnahmen zu untermauern und dabei insbesondere ländliche Räume in Europa nicht aus dem Blick zu verlieren. Der Italiener Enrico Rossi von der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) hat die Stellungnahme des AdR zur Europäischen Renovierungswelle federführend verantwortet und fordert, dass Investitionen „in den sozialen Wohnungsbau und den Bau öffentlicher Einrichtungen, von Krankenhäusern bis hin zu Schulen“ fließen müssten. Dazu benötige es eine „Anreizförderung der Wiederverwendung von Materialien“. Neben der Renovierung von Gebäuden sieht Rossi außerdem eine stärkere urbanistische Perspektive, beispielsweise durch stadtteilorientierte und energiegemeinschaftsbezogene Ansätze als entscheidend. Ein weiterer Anspruch besteht in der Bekämpfung der Energiearmut, die sich seit der Finanzkrise der EU und der Corona-Pandemie verschlimmert hat. Hohe Energiepreise und schlecht isolierte Gebäude führen dazu, dass es sich knapp 34 Millionen Europäer*innen nicht leisten können, ihre Wohnung zu heizen – eine erschreckend hohe Zahl.
Der Vorstoß des AdR ist wichtig, denn in der EU hapert es mitunter daran, großgedachte Ideen – und das damit verbundene Geld – dahin zu leiten, wo es sinnvoll wäre oder dringend gebraucht würde. Der AdR fordert deshalb eine „Multi-Level-Governance“, in der Städte und Regionen, die letztlich für die Umsetzung verantwortlich sind, mehr Mitspracherecht bei der Konzeption der Renovierungswelle erhalten. Es soll beispielsweise stärker auf bereits existierende, dezentralisierte Modelle für die Finanzierung nachhaltiger Energieprojekte wie das European Local ENergy Assistance (ELENA) gesetzt werden. Auch soll die Europäische Investitionsbank künftig als Klimabank der Europäischen Union fungieren und „den Zugang zu Finanzierungen erleichtern, auch durch Dezentralisierung vor Ort, zum Beispiel nach dem Modell regionaler zentraler Anlaufstellen oder Ad-hoc-Büros für spezifische Projekte“, so Rossi.
Einbindung des Neuen Europäischen Bauhaus
Bei der Implementierung der Renovierungswelle kommt auch das Neue Europäische Bauhaus ins Spiel. Wie lässt sich das interdisziplinär angedachte Projekt sinnvoll mit konkreten Maßnahmen der Renovierungswelle verschränken? Eine zentrale Zielvorgabe muss laut AdR die „Erschließung des kreativen Potenzials der Städte und Regionen“ sein. Rossi sieht im Neuen Bauhaus eine Chance „der Stadtsanierung eine Seele zu geben und ein völlig neues Konzept für unsere Viertel, Stadtrandgebiete und historischen Stadtkerne zu entwickeln“.
Der Status des Neuen Europäischen Bauhauses lautet derweil: „Phase der gemeinsamen Gestaltung“. Gespräche dazu laufen derzeit auf allen Ebenen. Im Mai findet das Ideenlabor Weimar 2021 statt, das am 9. Mai mit einem ganztägigen, öffentlichen Live-Streaming-Event unter Mitwirkung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sowie führenden Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur wie dem Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber und dem Soziologen Armin Nassehi eröffnet und in der darauffolgenden Woche mit zwei Werkstatt-Tagen in die Arbeitsphase übergeht. (Anmeldung bis 7. Mai, siehe hier). Bis Sommer 2021 wird die Kommission einen breit angelegten, partizipativen Prozess zur gemeinsamen Gestaltung einleiten, bevor sie ein Netz von fünf Gründungs-Bauhäusern im Jahr 2022 in verschiedenen EU-Ländern einrichtet.
Der Green Deal nimmt Formen an. In diesem Jahr werden viele Weichen für die Architekturbranche wie die Renovierungswelle und das Neue Europäische Bauhaus neu gestellt, die über Jahre richtungsweisend sein werden. Es lohnt sich also, genauer hinzublicken.
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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Frauke | 28.04.2021 10:09 UhrNeues Hornbach
Gute Initiative
Sinnentlerter Titel
Was soll das bedeuten neues europäisches Bauhaus. Welches Bauhaus ist gemeint? Gropius Standartisierungsansatz, Miessche Eleganz und Ambivalenz oder doch Meyersche "Architektur für das Volk".
Eine finanzielle Unterstützung für nachhaltiges Bauen ist sicher gut, eine Avantgarde Bewegung dagegen lässt sich sicher nicht von oben verordnen.