Wird im neuen Atelierhaus der St. Lucas School of Arts in Antwerpen denn nun wirklich Kunst produziert – oder nur gezeigt? Die Fotos suggerieren Letzteres, doch tatsächlich ist der fulminante Neubau von Atelier Kempe Thill aus Rotterdam ein Ort des kreativen Schaffens. Aber er ist eben auch so flexibel konzipiert, dass er für die üblichen Ausstellungen der Studierendenarbeiten, die an jeder Kunsthochschule regelmäßig stattfinden, zu einem eindrucksvollen Ausstellungshaus transformiert werden kann.
Doch eins nach dem anderen. Vor vier Jahren gewannen Kempe Thill den Wettbewerb für Umbau und Erweiterung der Kunsthochschule. Ausgangspunkt war eine ehemalige Krankenschwesternschule aus den 1950er Jahren, deren Substanz in gutem Zustand war, deren Raumaufteilung aber nicht den Ansprüchen zeitgenössischer Kunstlehre entsprach. Doch insbesondere die steinerne Rasterfassade zur Straße mit ihren subtilen Differenzierungen dürfte den Rotterdamer Architek*innen gut gefallen haben. Also wurde umgebaut, vor allem im Erdgeschoss, das durch raumhohe Fenster nun wunderbar mit dem Straßenraum kommuniziert.
Richtig interessant wird es jedoch im hinteren Teil des Grundstücks. Dort wurden einige Bestandsbauten abgerissen, um Platz zu machen für das neue, in sich zentrierte und lichte Atelierhaus über einem quadratischen Grundriss mit 34 Metern Kantenlänge. Vier Geschosse hat der Bau, jedes mit einer lichten Raumhöhe von 3,75 Metern. Das gekonnt konzipierte Souterrain ist handwerklicher Produktion vorbehalten und darf aufgrund der weiten Fensterflächen als voll nutzbares Geschoss gelten. Das oberste Geschoss wurde aus städtebaulichen Gründen zurückversetzt.
Maximale Offenheit im Inneren bei klar definierter Abgrenzung nach außen charakterisieren das Atelierhaus. Kempe Thill schreiben, dass sie in einem außergewöhnlich produktiven Diskussionsprozess die Bauherrschaft davon überzeugen konnten, vom ursprünglichen Raumprogramm abzuweichen und statt abgeschlossener Studios ein offenes Raumkontinuum umzusetzen, das sich um ein zentrales Atrium entwickelt. In Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro BAS (Leuven) entwickelten die Rotterdamer ein konstruktives System mit möglichst wenigen tragenden Stützen und Wänden.
Doch bei aller Offenheit: Kunst braucht immer auch räumlichen Halt – und Wandflächen. Deshalb konzipierten die Architekt*innen die Außenwände bis auf eine Höhe von 2,20 Metern als geschlossene Flächen, über die sie wiederum ein durchgehendes Fensterband setzten, das für natürlichen Lichteinfall bis in die Tiefe des Hauses sorgt. Große Ausnahme: das zentrale, 14 Meter lange Fenster auf der Eingangsebene. Ein System verschiebbarer, jeweils 2,20 x 2,20 Meter großer Wände erlaubt es, temporäre Arbeitsräume zu schaffen. Oder eben einen offenen Ausstellungsraum – womit wir wieder bei der anfänglichen Beobachtung wären.
Mit dem Neubau verfestigen Atelier Kempe Thill ihre Präsenz in Antwerpen, das für die Rotterdamer in den letzten Jahren zu einem wichtigen Spielfeld wurde und wo sie der bisweilen coolen Manieriertheit der jungen Belgier eine nicht weniger coole Architektur strenger Reduktion gegenüberstellen. 2016 wurde hier ein Mehrfamilienhaus fertig und letztes Jahr der Umbau eines Wohnhochhauses aus den 1970er Jahren. 2024 sollen Umbau und Erweiterung des Antwerpener Maritimmuseums abgeschlossen sein. (gh)
Fotos: Ulrich Schwarz, Berlin
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Dr. Yikes | 27.05.2020 10:04 UhrSchweb
Sehr hochwertig und elegant, wenngleich ich persönlich mit 'scheinbar schwebenden' Gebäuden nichts anfangen kann. Die Herren predigen konstruktive Logik und... und dann das.
Die durch die großen Fenster erzeugten Energielasten im Sommer, halte ich auch für bedenklich.
Aber wahrscheinlich spricht hier aus mir auch nur unterschwellig der Neid auf eine Lehranstalt, die man so in der deutschen Fakultätslandschaft vergeblich sucht.