Der Rasen wölbt sich mit einem Raster von runden Fenstern leicht nach oben wie bei einem Op-Art-Bild von Victor Vasarely. Vielleicht wird in den Räumen darunter auch einmal ein Bild von ihm zu sehen sein, denn in diesem unterirdischen Bau des Frankfurter Städel-Museums soll dezidiert Kunst nach 1945 ausgestellt werden. Wenn am 25./26. Februar 2012 das Städel seinen Erweiterungsbau von Schneider+Schumacher eröffnet, hat es – um im Bild zu bleiben – die Quadratur des Kreises geschafft, nämlich eine dezente und zurückgenommene Architektur zu realisieren und damit zugleich ein charakteristisches „Icon Building“ zu schaffen, das für das ganze Museum stehen kann.
Der städtebaulich überzeugende Entwurf von Schneider+Schumacher verändert das Ensemble nicht durch zusätzliche Hochbauten, sondern durch ein großes unterirdisches Volumen, in dem die Ausstellungshalle, die Depots, verschiedene andere Funktionsräume und eine Teilunterkellerung des Altbaus organisiert sind. Die 1,50 bis 2,50 Meter großen Oberlichtfenster versorgen den Bau mit Tageslicht. Diese runden Fenster korrespondieren dabei ganz passend mit den Okuli und den Rundbögen des Gartenflügels aus dem Jahr 1921 (Hermann von Hoven und Franz Heberer). Die Wölbung der Decke stellt gleichfalls eine Referenz zum Altbau dar und stehe – so erklärte Michael Schumacher der Presse – in Analogie zur „Städelkuppel“ am Schaumainkai.
Zu hoffen ist, dass die Baumreihen, die leider nicht erhalten werden konnten, schnell wieder nachwachsen (siehe Rendering in der BauNetz-Meldung vom 29. 11. 2010 zum Richtfest), denn der Verlust der alten Bäume führt dann doch zu einer nicht unwesentlichen Umwertung der Anlage. Durch die geschlossenen Fassaden der Bestandsbauten wirkt der Garten mehr wie ein Hof und lässt die vormalige Aufenthaltsqualität vermissen.
52 Millionen Euro hat das Projekt gekostet (34 Millionen für den Erweiterungsbau, 18 Millionen für die Sanierung des Altbaus), und fast alle Redner bei der heutigen Pressekonferenz lobten den Bürgersinn, mit dem dieser Betrag finanziert wurde, denn die Hälfte der Baukosten wurde aus privaten Spenden aufgebracht – bei einer Summe von 26 Millionen ist das auch alle Erwähnung wert.
Viermal ist der Bau des Städel-Museums aus dem Jahr 1878 bisher erweitert worden – zuletzt 1990 mit dem Westflügel von Gustav Peichl. Mittlerweile ist die Sammlung der Gegenwartskunst durch verschiedene Schenkungen und Neuerwerbungen jedoch derart stark gewachsen, dass neue Ausstellungsflächen dringend nötig wurden – zumal Werke der Gegenwartskunst mit ihren meist großen Formaten mehr Platz für sich beanspruchen. Hierfür bringt die neue Ausstellungshalle dem Städel zusätzliche 3.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, womit sich die Kapazität des Museums verdoppelt.
Zur Halle selbst gelangt der Besucher über eine Treppenfolge, die vom großen Foyer des Haupteingangs hinabführt. Diese bestimmt kniffligste Aufgabe der Erweiterung im Altbau wurde denkbar klar und überzeugend gelöst. Die Wegführung leitet den Besucher auf der Ebene des alten Foyers über eine fulminante, skulpturale Treppe in das helle Untergeschoss. Und der Raum, der sich vor dem Herabschreitenden auftut, ist wirklich spektakulär: Unter dem Baldachin der gewölbten Decke stehen Wände und Kuben wie Kulissen und eröffnen einen bühnenartigen Raum für die Präsentation der Kunst. Der Höhe der sogenannten Gartenhalle beträgt acht Meter und lässt ganz vergessen, dass es sich um einen unterirdischen Bau handelt. Die Oberlichter, die selbstverständlich auch mit Kunstlicht reguliert werden können, spenden dem Raum helles Licht, durch das er noch großzügiger und festlicher wirkt.
Die Ausstellungsarchitektur stammt von den Museumsspezialisten Kuehn Malvezzi, die im Wettbewerb einen der zweiten Plätze belegt hatten (siehe BauNetz-Meldung vom 21. 2. 2008 zum Wettbewerbsergebnis) und sehr früh in die Planung der Ausstellung miteinbezogen wurden. Ähnlich wie bei ihrer Umgestaltung einer Brauereihalle bei der Documenta 11 haben sie das annähernd quadratische Hallenvolumen mit weißen Kuben strukturiert. Als kleine Einheiten wirken sie wie „Häuser einer Stadt“, in die man hinein- und herumgehen kann. Mit der unterschiedlichen Anordnung dieser Kuben wird das Prinzip des didaktischen Rundgangs verlassen, und jeder Besucher kann sich die Exponate in individueller Bewegung erschließen. Wilfried Kuehn sprach von einem „dynamischen und intuitiven Besucherparcours“. Im Gegensatz zu den Raumfluchten und Enfiladen des Altbaus mäandert der Besucher förmlich durch die Ausstellung.
So praktisch und sinnvoll die Ausstellungsarchitektur aus kuratorischer Sicht sein mag, so sehr steht sie formal im Widerspruch zu der sich sanft aufwölbenden Decke, die eigentlich auf zwölf filigranen Säulen ruht. Auch wenn diese Wände die Stützen verdecken, so dominieren sie den Raum so sehr, dass die weiche, wolkige Decke an Wirkung einbüßt. An der Stelle, wo sich die Decke aufwölbt, haben Kuehn Malvezzi jedoch einen größeren Platz geschaffen, „eine asymmetrische Mitte, die die anderen Häuser und Plätze erschließt“. Tatsächlich ist der selbstgewählte Rundgang ein Raumerlebnis, das immer wieder überrascht, Blickachsen bietet und Bezüge der Bilder untereinander herstellt.
Frankfurt kann sich mit dem neuen Städel glücklich schätzen.
Arne Winkelmann
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Enno S. | 25.02.2012 15:40 Uhrkein Understatement
Der gewölbte, perforierte Rasen ist nicht zurückhaltend, die zitierten Verweise auf die Architektur des Städel zu fragmentarisch, um einen nachvollziehbaren Zusammenhang dazu herzustellen, der von den Verfassern auch im Grunde nicht gesucht worden sein kann. Denn der "Hingucker" soll ja die Erweiterung sein. Schade. Denn es bleibt bei einem einmaligen Aha-Effekt, der sich wie alle Effekte mit der Zeit abnutzen und später allein als Referenz an eine modische Idee in Erinnerung bleiben wird. Das kann nicht das Ziel von guter Architektur sein. Genauso wenig wie eine dominant gestaltete Decke, die ständig um die Aufmerksamkeit des Besuchers buhlt, der doch gekommen ist, um sich der Kunst zuzuwenden.