Neben Berlin war der Obersalzberg bei Berchtesgaden das wichtigste Machtzentrum der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Ein gutes Drittel seiner Amtszeit verbrachte Adolf Hitler auf dem Berghof im bestens gesicherten „Führersperrgebiet“. Im Herbst letzten Jahres eröffnete das neue Dokumentationszentrum mit einer ausgezeichneten Dauerausstellung.
Von Ulrike Alber-Vorbeck
Der Obersalzberg war ein zentraler Täterort und zugleich ein Ort der propagandistischen Inszenierung. Während Hitler auf dem Berghof war, bezogen NS-Größen die Nachbarhäuser, Staatsoberhäupter wurden empfangen, menschenverachtende Gesetze und Kriegsoperationen geplant – und all das vor der Heimatfilmkulisse zwischen Kehlsteinhaus und Watzmann fürs Wochenschauformat in Szene gesetzt. In den letzten Kriegstagen bombardiert und beschädigt, blieb das schwierige Areal bis in die 1990er Jahre in Verwaltung der US-Armee.
1999 wurde eine Dokumentationsstelle errichtet, deren Ausstellung auch Teile des weitläufigen Bunkersystems integriert. Bald platzte sie auf Grund des großen Besucherandrangs aus allen Nähten. Im September letzten Jahres wurde auf dem geschichtsträchtigen Terrain das neue, rund 3.600 Quadratmeter Bruttogrundfläche große Zentrum Dokumentation Obersalzberg eröffnet. Betreiber und inhaltlich verantwortlich für das Dokumentationszentrum ist das Institut für Zeitgeschichte (München/Berlin).
Den vom Freistaat Bayern ausgeschriebenen Wettbewerb für einen Erweiterungsneubau gewann 2014 das Dornbirner Büro Aicher Architekten ZT zusammen mit dem Freiraumplanungsbüro Planstatt Senner (Überlingen). „Der Entwurf verzichtet auf den Versuch, falsche Authentizität zu erwecken“, hieß es damals in der Jurybegründung. Nach Baubeginn 2017 kam es – unter anderem durch den Fund eines Blindgängers – zu Verzögerungen und steigenden Kosten. Nach Fertigstellung des Rohbaus 2020 übernahm das Münchner Architekturbüro LMJD den weiteren Ausbau. Die Ausstellungsgestaltung stammt vom Berliner Büro ramićsoenario.
Ein wichtiger Aspekt des Wettbewerbs war die Entmystifizierung des Ortes. Stark vom Tourismus geprägt – 2005 wurde ein nicht unumstrittenes Wellnesshotel auf dem Obersalzberg eröffnet –, sollte hier kein „Wallfahrtsort“ entstehen. Die Fundamente und Stützmauern des gesprengten Berghofs liegen als längst überwucherter Trümmerhaufen abseits und unkenntlich im Wald. Für das erste Dokumentationsgebäude wurde 1999 ein leicht vom Originalschauplatz abgerückter Standort gewählt, an dem einst ein Gästehaus der NSDAP gestanden hatte.
Der neue Erweiterungsbau ist größtenteils in den dahinterliegenden Hang eingegraben. Sichtbar sind nur die in die Landschaft eingefügten, monolithisch wirkenden Außenwände des Eingangsbereichs aus grobem Sichtbeton. Von hier aus werden in einem Rundgang über drei Geschosse die Ausstellungsflächen sowie Teile der weitverzweigten, circa 6,2 Kilometer langen Bunkeranlagen erschlossen. Das Raumprogramm des Dokumentationszentrums umfasst neben den Flächen für Dauer- sowie Wechselausstellungen auch Büros, Werkstätten und Lagerräume. Der gegenüberliegende Bestandsbau nimmt Seminarräume und eine Bibliothek auf.
Die ausgezeichnete neue Dauerausstellung „Idyll und Verbrechen“ beleuchtet in fünf Kapiteln die zentrale Rolle des Obersalzbergs als historischer Schauplatz und Täterort der NS-Geschichte. Auf dem Obersalzberg, wo bereits große Teile von Mein Kampf entstanden waren, etablierte der Diktator ab 1933 seinen zweiten Wohn- und Regierungssitz – seine sogenannte „Alpenfestung“. Die Ausstellung untersucht den Obersalzberg als Ort der Propaganda und der Außenpolitik. Sie dokumentiert die weitreichenden Entscheidungen zu Expansion, Kriegsführung und Massenmord, die am Berghof getroffen wurden.
Das letzte Kapitel widmet sich dem Obersalzberg als „Rummelplatz der Zeitgeschichte“ und illustriert mit ausgewählten Exponaten das Fortleben des Mythos vom Obersalzberg-Idyll nach Kriegsende. Anschließend kann man sich die riesigen, von Zwangsarbeitern in den Untergrund gegrabenen Bunkerruinen mit ihren Schutzräumen und senkrecht abfallenden Kavernen, Maschinenräumen, Luft- und Gasschleusen ansehen – die im Übrigen wohl nie richtig funktionstüchtig waren.
Fotos: Leonie Zangerl, ramićsoenario
Zum Thema:
obersalzberg.de Mit Blick auf den aktuellen Rechtsextremismusus haben wir kürzlich
zwölf Planungen, die an die Schrecken der NS-Zeit erinnern aus unserem Archiv zusammengestellt.
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arcseyler | 24.02.2024 14:16 UhrBild 2
Immer wieder interessant die Radikalität der Moderne gegenüber der politischen Radikalität, die sich im Wohnen recht maßvoll ausnimmt. Gropius schrieb 1919 nach der Revolution und seiner Mitarbeit im "Arbeitsrat für Kunst" seiner Mutter sinngemäß. Von jetzt an werde er sich politisch enthalten und sich lediglich gestalterisch radikalisieren. Bürgerliche Moderne als sublimierte Revolution zum räumlichen alles Eins, nicht dem gesellschaftlichen?
Wie dieses Nebeneinander von Moderne und dem umgebauten Relikt des ehemaligen Gästehauses auf Nichtarchitekten wirkt? Mit was identifizieren sie sich mehr.
Vielleicht wäre das neue Infozentrum besser nur unterirdisch als verheimlichte Realität zum Idyll. Nicht dieser moderne Bunkerkopf (für die Verwaltung). Noch tiefer eingegraben mit direkten Durchschlüpfen in die Gänge unmittelbar dahinter. Die Verwaltung darüber unsichtbar im Hang, mit Oberlicht.
Das ebenfalls verlinkte Wellnesshotel überredet mehr zum Heute.