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08.09.2006
Radiale Kulturpulspumpe
Eröffnung nach Umbau an der Spree
Das ehemalige Pumpwerk an der Berliner Holzmarktstraße wurde nach Plänen von Gerhard Spangenberg umgebaut und wird am 9. September 2006 unter dem Namen „Radialsystem V“ eröffnet.
Architektonisch gesehen bot der Spreelauf in Höhe der Holzmarktstraße, im ehemaligen Grenzgebiet zwischen Mitte und Kreuzberg, bis heute oft nurmehr „Mut zur Lücke“ und architektonische Magerkost – vor allem am Kreuzberger Ufer. Was Neubauten zur Heilung der städtischen Narben in diesem Gebiet beitragen können, davon zeugen z.B. das „Heizkraftwerk Mitte“ von Jourdan oder die Drillingsbauten „Trias“ von Beringer und Wawrik. Allerdings gibt es auch gut sanierte und umgenutzte Altbauten wie das Deutsche Architektur Zentrum (DAZ) im von Anderhalten Architekten sowie Assmann, Salomon, Scheidt umgebauten Fabrikhof.
Natürlich ist es im Sinne der Stadtreparatur immer angeraten, gewachsene historische Baustrukturen zu erhalten, bevor die Abrissbirne irgendwann unerbittlich zuschlägt. Berlin ist sich seit der Wende dieser Verantwortung meist bewusst gewesen und so ist auch das alte Pumpwerk an der Holzmarktstraße zum Glück erhalten geblieben.
1880 erbaut, wurde es als eines der ersten Pumpwerke Berlins als Teil des – damals innovativen – Radialsystems zur Stadtentwässerung erbaut. Bedingt durch das rasante Wachstum Berlins als neuer Reichshauptstadt wurde es bereits 1904 an seiner Ostseite auf das Doppelte seiner bisherigen Größe erweitert. Der ältere, westliche Teil der Maschinenhalle wurde im letzten Weltkrieg fast völlig zerstört und dann komplett abgerissen, wodurch der östliche und jüngere Teil, repariert und weiter genutzt, eine fensterlose unansehnliche Giebelwand behielt, die vor dem Umbau mehr einer offenen Wunde glich.
In etlichen Stufen der Modernisierung wurde in der Nachkriegszeit die Pumpentechnik von Dampf-, Gas- und Diesel- schließlich auf Elektrotechnik umgestellt, bis die gesamte Anlage dann endgültig verschlissen war. Um die Jahrtausendwende wurde ein neues Pumpwerk in unmittelbarer Nachbarschaft errichtet, wodurch das historische Werk schlichtweg nutzlos wurde. Seither steht es unter Denkmalschutz und zog als fragmentarischer, ausgeweideter und ein wenig ratlos dastehender Zeitzeuge die Neugier der Betrachter und natürlich Begehrlichkeiten auf sich; konvertierbare Industriebrachen in Mitte und zudem am Spreeufer sind inzwischen zu einer Rarität geworden.
Der Bestand präsentierte sich als Konglomerat aus Gebäudefragmenten: Zum Einen das Maschinenhaus mit seiner amputiert wirkenden Westseite, seiner zwölf Meter hohen Innenhalle, dem Schornstein als 40 Meter hohem Gebäudekopf und dem etwas unmotiviert daneben gestellten kleinen Kesselhaus. Zum Anderen das kleine Werkswohnhaus, das, heutigen Doppelhaushälften nicht unähnlich, noch auf seine bessere Hälfte zu warten scheint.
Die westlichen, parallel stehenden Bestandsvolumen waren auf Grund ihrer neutralen, großen Innenräume für ein programmatisch offenes Nutzungskonzept wie geschaffen. Spangenberg sattelte den Hallen bislang fehlende Räume für ein Foyer, Ausstellungen, Konferenzen oder eine Verwaltung als bauliche Ergänzung auf. Das dafür notwendige neue Volumen ist ein glatter, kleinteilig facettierter Baukörper mit einer durchscheinenden und zugleich spiegelnden Glassfassade.
„Ein dialogisch orientiertes Gegengewicht zum Bestandsvolumen mit seinen Klinker-/Putzfassaden, Pilastern und Zinnen“, wie Spangenberg es nennt. Die durch das Absetzen und Aufständern entstehenden Schattenspuren des Neubaus zeichnen die notwendige Distanz zum massiv und schwer wirkenden Altbau, halten ihn aber doch wie ein feingliedriges Korsett und bringen ihn so besonders zur Geltung. Auf der Uferseite wird durch die Aufsattlung des neuen Volumens eine Stadtloggia formuliert, die nun auch zum Feiern von Partys am Spreeufer einlädt.
Das „Radialsystem V“ soll eine neue Adresse abseits des etablierten Kulturbetriebs in Berlin werden. Angesagte Bars und Klubs, Universal und MTV liegen in der Nähe. Am 14. September wird hier eine erste Ballettchoreografie von Sasha Waltz uraufgeführt. Ein Reigen weiterer Veranstaltungen soll folgen.
Spangenberg hat hier ein weiteres Mosaiksteinchen gesetzt, dass den durch Krieg und Teilung zerstörten Stadtgrundriss Berlins zeitgemäß reparieren hilft. Manch anderen Gebäuden in Mitte hätte man einen solch verständigen Umgang mit historischer Bausubstanz gewünscht.
Till Wöhler
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