Dass die belgische Architektur seit Jahren auch international Maßstäbe setzt, hat nicht nur mit dem Können der dortigen Büros zu tun. Genauso wichtig sind die Strukturen, die ein engagiertes Bauen fördern. Eine Schlüsselstellung kommt dabei dem Vlaams Bouwmeester zu.
Von Florian Heilmeyer
Mit dem
Vlaams Bouwmeester hat Belgien vor gut 20 Jahren – auch mit Blick auf den
Rijksbouwmeester in den Niederlande – eine beispielhafte Position geschaffen, die ab kommenden Montag, 17. August durch den Architekten und Philosophen
Erik Wieërs neu besetzt wird. Turnusgemäß bestellt die Regionalregierung Flanderns (das ist der niederländisch-sprachige Norden des Landes), alle fünf Jahre einen neuen Bouwmeester seit das Amt 1999 geschaffen wurde.
Hauptaufgabe des Bouwmeesters in Flandern ist die Beratung und praktische Unterstützung aller Regierungsstellen in Baufragen und bei konkreten Bauprojekten. Das wichtigste Instrument ist dabei der „Open Oproep“, ein spezielles, dialogisches Wettbewerbsverfahren für Bauaufträge der öffentlichen Hand, das vom ersten Bouwmeester
Bob van Reeth erfunden und in den letzten Jahren erheblich zum qualitativen Aufschwung der jungen, belgischen Architektur beigetragen hat. Den gebauten Projekten des Open Oproep hatten wir kürzlich die
BAUNETZWOCHE#557 „Das Wunder von Flandern“ gewidmet. Darüber hinaus soll der Bouwmeester aber auch zur Architekturdebatte beisteuern und kann mit seinem 15-köpfigen Team – innerhalb eines knappen Budgets – Studien und Pilotprojekte lancieren, die politische Entscheidungen und im besten Falle auch Gesetzgebungen beeinflussen können. Er soll insgesamt eine „begleitenden und inspirierende Rolle“ für die Politik spielen.
In dieser Rolle sind frühere Bouwmeester immer wieder politisch angeeckt. Am dramatischsten wohl
Peter Swinnen (vom Büro
51N4E), dem 2015 durch eine national-konservative Regierung frühzeitig gekündigt wurde. Das Amt sollte sogar gänzlich aufgelöst werden, was durch vielstimmigen Protest und mit Verweis auf die politischen und architektonischen Erfolge verhindert werden konnte. Aber auch
Leo van Broeck (vom Büro
Bogdan & van Broeck) fiel während seiner Amtszeit 2016–20 mit eigenen Schwerpunkten auf, die sich nicht immer mit denen der flämischen Regierung deckten. Wer sich heute noch ein freistehendes Eigenheim baue sei eigentlich kriminell, ließ er sich zitieren – eine in Belgien sicher gänzlich unpopuläre Position. Allerdings hatte van Broeck auch vor seiner Ernennung zum Bouwmeester bereits mehrfach deutlich gegen die Zersiedelung und für die Stärkung verdichteter Wohnformen plädiert. Bauherr*innen, die von ihm ein Eigenheim wollten, schickte er weg.
Zum 17. August folgt nun Wieërs auf van Broeck. Er ist Jahrgang 1963 und auch in Belgien bislang nicht besonders bekannt. Er studierte Architektur in Antwerpen und Philosophie in Brüssel, lehrte in Antwerpen und an der TU Delft. Ihm eilt der Ruf eines Teamplayers und Diplomaten voraus, da er als Architekt immer im Verbund gearbeitet hat. Er war Mitgründer von
META Architectuur 1991, von
Huiswerk Architecten 2001 und wieder genau zehn Jahre später von
Collectief Noord, das er bis heute mit vier Partnern betreibt. Er gilt damit auch als umtriebiger und gut vernetzter Architekt, der zuhören und verhandeln kann. Als Bouwmeester könnten dies ideale Voraussetzungen sein.
Die politische Unabhängigkeit gehörte bislang zum Markenkern der Bouwmeester und ist wichtiger Bestandteil ihrer bisherigen Erfolge. Nun wird dem neuen Bouwmeester von politischer Seite mitgegeben, er möge sich doch bitte wieder mehr auf seine „Kernaufgaben“ konzentrieren – es wird spannend, zu beobachten, wie Wieërs diesen Arbeitsauftrag interpretieren wird.