Von Wolfgang Pehnt
Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte einen Lebensabschnitt in einer von Erich Schneider-Wessling entworfenen Wohnung verbracht. In den sechziger Jahren suchte der im oberbayerischen Ort Wessling geborene Architekt Leute, mit denen er seine Ideen vom „Urbanen Wohnen“ realisieren konnte – er natürlich als Entwerfer, wir anderen als partielle Bauherren, aber mit Stimmrecht und möglichst auch ein bisschen Kapital. Und natürlich sollten seine Vorstellungen vom Zusammenleben realisiert werden. Das betraf gemeinschaftliches Wohnen, Wohnräume, in denen sich die Bewohner in neuen Gruppierungen zusammenfinden, gemeinsames Kochen, Spielzimmer für alle Kinder, kollektives Gardening. Erleben konnte er das während seiner jungen Jahre als Fulbright-Stipendiat in den USA. Dort war Frank Lloyd Wright mit seinen beiden Künstlerkolonien Taliesin für ihn so etwas wie Vorbild und „Meister“.
Gebaut werden sollten solche Beispiele eines anderen Wohnens am besten in Gitterkonstruktionen, in denen sich die Nutzungen mischten, dicht gepackt, errichtet auf Baulücken oder Parkplätzen mitten in der Stadt und nicht an ihrem Rande, manchmal angelehnt und eingehaust in vorhandene Altbauten wie nicht mehr genutzte Hochgaragen oder Wassertürme. Gedacht war dieses kompakte Wohnen als Antwort auf die endlosen Eigenheimplantagen, die sich in der jungen Bundesrepublik ausbreiteten. Schneider-Wessling fand für solche Ideen unter seinen Kollegen Mitstreiter, die sich in Köln in einem lange bestehenden Kollektiv namens „Bauturm“ zusammenfanden und sogar gemeinsam Theater und Café betrieben.
Aber bekannt wurde Erich Schneider-Wessling beinahe durch das Gegenteil von Großstrukturen, durch eine Reihe eleganter und wunderbar offener Landhäuser. Für sie fand er eine Klientel interessierter Bauherren, Verleger und Künstler, darunter der Komponist Karlheinz Stockhausen und die Künstlerin Mary Baumeister. Bei diesen veränderbaren, der Natur geöffneten und auf Licht- und Wärmeeintrag bedachten Gehäusen konnte er sich auf einen anderen, überwiegend in Amerika tätigen Baumeister berufen, Richard Neutra. Bei Neutra, der seit den Sechziger Jahren auch wieder in Europa und in Deutschland baute, hatte er auch selbst gearbeitet.
Neutra sprach von „Biorealismus“, Schneider-Wessling nannte sein Bauen „reale Architektur“. Nun ist Architektur, wo sie dreidimensional und konkret wird, stets „reale“ Architektur. Er hat oft bauen können, auch größere Aufträge, mehrfach für ökologische Forschungseinrichtungen, sogar eine Stadtmitte in einer Beinahe-Stadt, Kaarst bei Düsseldorf, mit Rathaus, Bürgerhaus, Markt und geradezu holländischen Grachten. Fast alle Bauten wirken gerüsthaft, verwenden begrünte Fassaden, zeigen, wie sie Lasten aufnehmen, scheinen veränderbar und sind es auch, setzen auf Transparenz, tragen zur Energiegewinnung bei. Es ist Architektur, von der stets so etwas wie Baustellen-Charme ausging.
Sich selbst hat Schneider-Wessling sicherlich nicht als Revolutionär gesehen, wohl aber als einen, dessen Veränderungsdrang wach blieb. Er nannte sich einmal einen „Evoluzzer“ und meinte damit einen, der seine Hoffnungen auf ein besseres Bauen und gesellschaftliches Leben nicht aufgegeben hat, sondern ihnen in Entwicklungsschritten folgt. Leitbegriffe, an denen er seine Architektur orientierte, heißen Ortsbezug, Klima, Angemessenheit der Mittel, Gemeinschaft, Individuum, Moderne Technik, Natur. Ein Begriff, der nur die Form im Sinne hätte – wie es fraglos viele seiner heutigen Kollegen formuliert hätten –, ist nicht darunter.
Seine Leitwörter hat er in einer geometrischen Figur geordnet, einem Siebenstern, dessen Spitzen mit den sieben Leitwörtern er in schwungvollen Linienzügen verband. Wo sich die Linien in der Mitte schneiden, trug er die Buchstaben „RA“ ein – „reale Architektur“. Möge das Heptagramm ihm auf seinen Lebenswegen geleuchtet haben, und auch auf deren schwerem Ende. Erich Schneider-Wessling starb am 28. September in Köln im Alter von 86 Jahren.
Der Autor Wolfgang Pehnt wird Erich Schneider-Wessling auf der Herbstmitgliederversammlung der Akademie der Künste Berlin am 17./18. November mit einem Nachruf ehren.
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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0815 Architekt | 05.10.2017 13:27 UhrSchade, dass
hier Beispielfotos seines Werks fehlen. !?