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08.05.2023
Eine Höhle begeistert New York
Ergänzung des American Museum of Natural History von Studio Gang
Das hier ist eines jener Bauwerke, die die Grenze zwischen Effekthascherei und angemessener Extravaganz ausloten. Es handelt sich um die Erweiterung des American Museum of Natural History in Manhattan von Studio Gang (Chicago), die sich vor 14 Jahren mit dem Aqua Tower in Chicago einem Namen machten. In New York City arbeiteten sie mit dem lokalen Büro Davis Brody Bond und dem Landschaftsarchitekturbüro Reed Hilderbrand (Cambridge) zusammen. Nach neun Jahren Planungs- und Bauzeit sowie einem Budget von 465 Millionen Dollar – inklusive vier Jahren Verzögerung und Kostensteigerung von 140 Millionen – wurde das Richard Gilder Center for Science, Education, and Innovation vor zwei Wochen der Öffentlichkeit präsentiert. Und die feierte es mitunter gewaltig. Umso angebrachter scheint es mit ruhigem Gemüt auf die Architektur zu schauen.
Der Neubau an der Columbus Avenue füllt eine bauliche Lücke des umfassenden Museumskomplexes, der sich über vier Blöcke direkt am Central Park erstreckt. Mit circa 21.400 Quadratmetern Bruttogeschossfläche fügt er dem 1877 errichteten Gebäudeensemble diverse neue Ausstellungsbereiche, mehrere Studien- und Lehrräume sowie eine Bibliothek hinzu. War das Naturkundemuseum auch vorher schon sehr beliebt, soll es ob der hohen Wahrscheinlichkeit in einer der vielen Sackgassen zu enden, dennoch ein gewisses Frustrationspotenzial bereitgehalten haben. Eine der wichtigsten Leistungen der Architekt*innen um Jeanne Gang war es deshalb, ganze 33 dieser „toten Enden“ aufzulösen. Mithilfe neuer Übergänge in die anderen Gebäudeteile ist nun ein Rundgang durch das gesamte Museum möglich.
Der Presse stellte sich Gang als „your dead end gal“ (deutsch: „Sackgassenmädchen“) vor. Die Koketterie ihrer Vorstellung lässt erahnen, dass es bei diesem Gebäude nicht nur um Programmvergrößerung und Sackgassenauflösung, sondern auch um einen gewissen Showeffekt ging. Im Mittelpunkt der Berichterstattung stand nämlich nicht die räumliche Organisation. Zumal man diese ohne einen Besuch gar nicht zu sehen bekommt, da das Büro keine Grundrisse veröffentlicht und Interessierten nur der Übersichtsplan auf der Website des Museums bleibt.
Das, was beispielsweise den einflussreichen Architekturkritiker Michael Kimmelman in der New York Times zum Loblied veranlasste, ist das spektakuläre fünfgeschossige Atrium. Wie in einer Höhle winden sich dort Betonformationen durch den Innenraum, lassen Brücken entstehen oder formen natürlich anmutende Öffnungen zu den angrenzenden Ausstellungsäumen. Dazu wurde Strukturbeton direkt und ohne Schalung auf vorgeformte Bewehrungskörbe gespritzt. Für die Umsetzung dieser als „Shotcrete“ (Spritzbeton) bezeichneten Technik, die 1907 von Carl Akeley erfunden wurde, holte Gang Arup (London) ins Boot. Die tragenden Betonformen ließen die Planer*innen händisch mit einer rauen Oberfläche versehen, die Bauarbeiter*innen im Anschluss mit Walzen schufen. Der Effekt dieser imitierten Höhlenarchitektur ist beeindruckend.
Allerdings hat sie ihre Grenzen. Zunächst beim recht gewöhnlichen Boden, spätestens aber in der Fassade. Die großen, gerundeten Fensteröffnungen künden zwar von dem, was da innen vor sich geht. Doch die orthogonale Fensterteilung der gebäudehohen Atriumverglasung durchkreuzt die Illusion. Gleiches gilt für das Fassadenmaterial. Zum Einsatz kam Milford Pink Granit, der auch beim Museumseingang am Central Park West zu finden ist. Beim Gilder Center wurde das Material in Form schmaler Platten verlegt, deren diagonales Muster an geologische Schichtungen erinnern soll.
Die New York Times pries das neue Museum als „kolossale Attraktion“. Womit das spektakuläre Innere gemeint ist. Neben der Höhlenarchitektur wird die Naturkunde hier nämlich in einer Show präsentiert, für die zu großen Teilen die Ausstellungsgestaltung von Ralph Appelbaum Associates (New York) verantwortlich ist. Es gibt unter anderem ein Vivarium, in dem man sich inmitten flatternder Schmetterlinge begibt, eine Installation, in der man Blattschneiderameisen bei der Arbeit zusieht und eine 360-Grad-Videoinstallation. Ihre Aufgabe war es, eine „Landschaft des Entdeckens“ zu kreieren, sagt Gang. Wohl zu Recht schreibt Kimmelman, dass vor allem den vielen Schulkindern, die das Museum besuchen, eine Menge geboten wird. Sie werden hier für Naturwissenschaften und damit für die Grundlage zum nachhaltigen Umgang mit unserem Planeten begeistert.
Ob das Gebäude selbst ein Beispiel für Nachhaltigkeit ist, steht auf einem anderen Blatt. Etwaige Labels – wie die LEED Gold Zertifizierung – werden laut Architekt*innen angestrebt. Mehr als die üblichen Standardmaßnahmen sind jedoch nicht zu erkennen. Zumal es sich hier um eine Menge Stahlbeton handelt, der zwar ohne Schalungsabfälle auskommt, aber dennoch energieintensiv in der Herstellung bleibt. Ob klimagerechte Maßnahmen bei Bauwerken mit einer derart großen kulturellen Bedeutung überhaupt an erster Stelle liegen sollten, ist diskutabel. Zumindest, wenn es zu gestalterischen Einbußen führt wie aktuell in Berlin. Dafür würde aber die potenzielle Strahlkraft derartiger Bauten sprechen. Die jedenfalls besitzt das Gilder Center in New York City allemal. (mh)
Fotos: Iwan Baan, Alvaro Keding
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