Seit seiner Gründung im Jahr 1994 hat Amazon seinen Stammsitz in Seattle. Mit 40.000 Angestellten beeinflusst der Konzern von hier aus nicht nur den Onlinehandel, sondern auch die Stadtentwicklung. Er unterstützt medienwirksam soziale Projekte, zahlt aber kaum Steuern und erwirtschaftet seine Milliardengewinne nicht zuletzt auch auf dem Rücken der Kommune. Umso erstaunlicher wirkte das Schaulaufen von über 200 Städten in Nordamerika, die sich 2017 als Standort für die von Amazon geplante, zweite Unternehmenszentrale HQ2 beworben hatten. Weil die Auswahl als Wettbewerb angelegt war, überboten sie sich gegenseitig mit Versprechungen zu beschleunigten Baugenehmigungen, Steuervergünstigungen, und flankierenden Infrastrukturmaßnahmen. Immerhin waren 50.000 Jobs und Bauinvestitionen in Höhe von fünf Milliarden Dollar versprochen.
Ende 2018 gab Amazon dann bekannt, an zwei Standorten für jeweils 25.000 Mitarbeiter bauen zu wollen – in Arlington im Bundesstaat Virginia und in Long Island City im New Yorker Stadtteil Queens. Doch der Widerstand von Anwohner*innen und Lokalpolitik in New York war so hoch, dass erstmal nur in Arlington geplant wird. Vergangene Woche, mitten ins unfreiwillige Homeoffice vieler Menschen, drangen nun erste Entwürfe. Sie stammen von NBBJ, einem Planungsbüro, das mit über 800 Angestellten an 12 Standorten weltweit tätig ist und für Amazon bereits in Seattle geplant hat: Unter anderem drei kugelförmige Wintergärten mit vielen Pflanzen, Besprechungsräumen und Geschäften, die der Unternehmenszentrale ein naturverbundenes Gesicht geben sollen.
Mit dem Schlagwort „Natur“, vor allem aber mit architektonischer Effekthascherei will man nun Arlington erobern. Flankiert von drei 22-geschossigen Bürotürmen visualisieren NBBJ dort nämlich eine gläserne Doppelhelix, die mit den vielen buschigen Bäumen eher wie Satire wirkt. Doch die Zuschreibungen des Architekturbüros verorten den 22 Meter hohen, begehbaren Haufen an der Straßenecke im bierernsten Mediensprech: Das Projekt stelle das gesunde Arbeiten in den Vordergrund, feiere die Natur und beziehe die „Community“ auf mehreren Ebenen ein – von den Gehwegen bis zum Gebäude selbst, heißt es im Pressetext. Die bepflanzten Bereiche mit Wasserspielen sollen den Mitarbeiter*innen Naturerlebnisse bescheren sowie Kreativität und Wohlbefinden fördern. Dabei ist die baumbewachsene Helix nur der Pausenort, gearbeitet wird in den Bürotürmen drum herum. Diese wiederum sollen LEED Platinum-zertifiziert sein und zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie betrieben werden. 2022 will Amazon mit dem Bau beginnen und 2025 fertig sein.
Für das Gelände sind ein 2,5 Hektar großer, öffentlicher Park mit einem Amphitheater und einem Artist-in-Residence-Programm angekündigt. Schließlich ist die Rede von Pavillons für kleine Läden und einem Food-Truck-Bereich, einer Kindertagesstätte, einem Hundeauslauf und einem 20.000 Quadratmeter großen Gemeinschaftsraum für Bildungsinitiativen samt individueller Nutzungen. Amazon inszeniert sich als verantwortungsvolles Gesamtpaket, als menschenzugewandter Glücksfall für die 240.000 Einwohner-Stadt Arlington, die nur eine Flussbreite von Washington D.C. entfernt liegt. Doch welchen Preis werden sie und ihre Bewohner*innen dafür bezahlen? Die Washington Post berichtet von 750 Million US-Dollar Subventionen, die Amazon vom Bundesstaat Virginia erhalten soll. Eine Baugenehmigung für die Doppelhelix ist noch nicht erteilt. (fm)
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Mehr zum Thema in der BAUNETZWOCHE #546 „Amazon: Vom Buchhändler zum Städtebauer“.
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