Die BauNetz-Redaktion bringt heute zum letzten Mal in diesem Jahr tagesaktuelle Meldungen. Ab Montag, 5. Januar 2004, versorgen wir Sie an dieser Stelle wieder mit Nachrichten aus der Architekturszene. Die BauNetz-Redaktion wünscht allen Lesern, Nutzern, Kunden und Fans ein erfolgreiches Jahr 2004.
Wir wollen das Redaktionsjahr aber nicht beschließen, ohne einen resümierenden Blick auf die „Meldungslage“ des ablaufenden Jahres zu werfen.
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Das Architekturjahr 2003 war zwar von wenigen Großereignissen geprägt (es gab weder eine Biennale in Venedig, noch eine Expo oder Olympiade oder gar einen UIA-Weltkongress), aber besonders die weltweit profilierten Büros haben abermals zahlreiche Aufträge rund um den Globus ergattern können. Der Trend, auch der provinziellsten Bauaufgabe mit großen Namen Glanz zu verleihen, hält an: Botta baut ein Hochhaus in Seoul, Hadid Museen in Cincinatti und Taipeh, Perrault ein Theater in St. Petersburg und Tschumi ein Museum in Athen, die Iren Heneghan und Peng eines in Kairo – das sind nur einige der Meldungen aus der internationalen Architekturwelt.
Alle etablierten „Stars der Szene“ haben 2003 von sich reden gemacht. Besonders erfolgreich waren Herzog und de Meuron, die mit dem Schauhaus in Basel, dem Kunsthaus in Aarau, dem Olympiastadion in Peking, der neuen Oper in Hamburg, der Bibliothek in Cottbus, den Fünf Höfen in München, dem Kulturzentrum auf Teneriffa, dem Kulturzentrum in Madrid und dem Prada-Laden in Tokio Projekte in allen Enden der Welt bearbeiten. Auch das Museum der Kulturen in Basel wird nach ihren Plänen umgestaltet.
An zweiter Stelle folgen OMA (Zeche Zollverein in Essen, Student-Center in Chicago, TV-Sender in Peking) und Foster (wie schon im letzten Jahr), dessen Londoner Großbüro weiterhin Erfolge auf allen Kontinenten feiert: Vom Hochhaus in Sydney, dem Elefantenhaus in Kopenhagen, einem Stadtquartier in Washington, dem Swiss Re Tower in London über das Lincoln Center in New York bis hin zum neuen Großflughafen Peking, dem Trafalgar Square in London und dem Campus in Stanford/Kalifornien reichen seine Entwürfe 2003.
Das einzige Großereignis war Graz´ Status als europäische Kulturhauptstadt. Die Stadt hat den Anlass für diverse Architekturprojekte genutzt, von denen Cook und Acconci nur die bekanntesten Verfasser sind. Lille und Genua, die sich den Titel 2004 teilen, haben leider weniger von sich hören lassen. Vancouver wurde als Austragungsort der Olympischen Spiele 2010 gewählt. Auch alle deutschen Großstädte bereiten sich mit aufwändigen Stadien-Um- und Neubauten auf die Fußball-WM 2006 vor. Leipzig plant mit wechselndem Glück seine Olympia-Bewerbung 2012.
Aber auch die europäischen Architekten de Portzamparc (Hochhaus in Paris), Libeskind (Museen in Denver und Dresden, Villa auf Mallorca), Chipperfield (Kunsthaus Berlin, Museum in Alaska), Calatrava (Stadion in Athen, Bahnhof in New York, Konzertzentrum auf Teneriffa), Grimshaw (Kongresszentrum in Hamburg, Börse und Battersea-Kraftwerk in London und Bürobau in Berlin) und Piano (Museen in Atlanta und Dallas und Konzerthalle in Rom) stellten 2003 neue Entwürfe vor. Sejima (Design-Schule in Essen, Museen in Toledo und New York) und Ando (Museum in Williamstown) aus Japan konnten ebenfalls neue Projekte in Übersee beginnen oder vollenden. Von den amerikanischen Architekten stachen Holl (Loisium in Österreich), Pelli (Hochhaus in Hongkong) und Meier (Kirche in Rom, Museum in Remagen) hervor.
Politisch war das Jahr 2003 vom weltweiten Terrorismus und dem „Kampf“ dagegen geprägt. Mittelbar hat auch die wichtigste Debatte in der Architekturwelt damit zu tun: Daniel Libeskinds im Februar vorgestellter Entwurf für das neue World-Trade-Center in New York wurde stückweise über das ganze Jahr hinweg revidiert. Was die BauNetz-Redaktion schon im letzten Jahresrückblick befürchtet hatte, ist eingetreten: Der von den Feuilletonisten zunächst hoch gelobte, kühne Entwurf wurde sukzessive zerrupft. In die Rolle des „drögen Hausarchitekten“ schlüpfte David Childs. Auch der kürzlich entschiedene Wettbewerb für das Mahnmal kam in der öffentlichen Kritik nicht gut weg.
Zu den großen Pleiten gehörten 2003 der Papier gebliebene Trump-Tower in Stuttgart und die Affäre um das „Kölner Loch“. Auch das neue höchste Hochhaus der Welt, das 101-Building in Taipeh, wurde vom Pech verfolgt.
Selbst Stars müssen teilweise Rückschläge einstecken: Nicht nur OMA wurde beim Museum Ludwig in Köln der Auftrag entzogen, auch Nouvel in Pittsburgh. Besonders das übereifrige Guggenheim-Museum machte mit großen Absagen Schlagzeilen: Weder Gehry in New York noch Nouvel in Rio werden auf absehbare Zeit neuen Filialen des Kunstkonzerns bauen. Die in Las Vegas von OMA wurde sogar bereits wieder geschlossen.
Aber auch einige ältere Stars waren 2003 ständig im Gespräch. Hollein etwa mit der Albertina in Wien und der Centrum-Bank in Vaduz/Liechtenstein und Pei mit dem DHM in Berlin, ganz zu schweigen von Böhms Theater in Potsdam und Niemeyers Pavillon in London. Auch Frank Gehrys dekonstruktivistische Formen waren weiterhin weltweit gefragt, wie die Disney-Konzerthalle in Los Angeles, das Biloxi-Center in Mississippi und Annandale-Kunsthaus bei New York, die Polizei in Manhattan und das Hochhaus in Brighton beweisen.
Zum Glück machen auch junge, unbekanntere Architekten auf sich aufmerksam: Kirsten Schemel aus Berlin etwa überraschte die Welt mit dem 1. Preis für den Wettbewerb des Nam-June-Paik-Museums in Seoul. Beim Black-Market-Crawler-Wettbewerb in New York haben die Berliner Studenten Huebser und Haupt gewonnen.
Die wichtigsten Preise 2003 gingen an Jörn Utzon (Pritzker-Preis) und Axel Schultes (Deutscher Architekturpreis). Rem Koolhaas bekam sowohl des Praemium Imperiale des japanischen Kaisers als auch die Royal Gold Medal des RIBA.
Deutschland blieb ein architekturimportfreudiges Land. Aber erstmals konnten deutsche Architekten auch im Ausland große Aufträge gewinnen: Besonders die deutschen Großbüros wie gmp, KSP Engel und Zimmermann und Henn haben Erfolge in China errungen: KSP Engel und Zimmermann werden die Bibliothek in Peking und ein neues Stadtviertel in Xian, Henn das Auto-Zentrum in Shanghai und gmp das Stadion in Foshan, das Museum in Schanghai und die Luchao Harbour City planen.
Aber auch unbekanntere deutsche Büros haben prestigeträchtige Aufträge bekommen: Das neue Luftfahrtmuseum wird ebenso in Deutschland geplant wie das Radsportstadion für die Olympiade in Peking, die neue deutsche Schule in Schanghai und die neue Formel-1-Rennstrecke in Schanghai.
Die meisten kleineren Architekturbüros litten weiterhin unter der miserablen Baukonjunktur. Die Architekten-Arbeitslosigkeit steigt weiter. Die drohende Abschaffung der HOAI und auch die Einrichtung der „Stiftung Baukultur“ helfen dem Berufsstand nicht.
In Berlin liefen mit der italienischen, niederländischen, französischen, südafrikanischen und australischen die letzten großen Botschaften vom Band. Mit der Einweihung des Lüders-Hauses ist die Reihe der großen Bundesbauten vorerst abgeschlossen. Streit gab es abermals um die Topographie des Terrors und das Holocaust-Mahnmal und um die Gestaltung der Berliner Mitte: Während die neue Bertelsmann-Repräsentanz einen Vorgeschmack auf eine etwaige Rekonstruktion des Schlosses gab, bewirkte die temporäre Öffnung des Palastes der Republik das Gegenteil (in Braunschweig ist ebenfalls eine Debatte um das „neue Schloss“ entbrannt).
Die neuen Hafenstädte in Hamburg und Bremen gehörten 2003 zu den interessantesten Städtebauprojekten in Deutschland.
Obwohl es auf der ganzen Welt spektakuläre Neubauprojekte gab, schweifte der Blick in Deutschland verstärkt auf das Problem der „schrumpfenden Städte“ in Ost und West. Viele epochale Gebäude wurden abgerissen oder gerieten in Gefahr abgerissen oder verunstaltet zu werden: Das BauNetz hat deshalb eine eigene Rubrik „Moderne in Gefahr“ eingerichtet.
Leider musste das BauNetz auch mehrere Todesfälle melden: Die Architekturwelt trauert um die 2003 verstorbenen Architekten Chen Kuen Lee, Lucius Burckhardt, Daniel Gössler, Helmut Trauzettel, Cedric Price und Peter Smithson.
Ulf Meyer