Mit „Incidental Space“ gelingt Christian Kerez und der Kuratorin Sandra Oehy einer der ungewöhnlichsten Beiträge der diesjährigen Biennale. Ihre Raumskulptur gleicht einem physikalischen Experiment, das man betreten kann. Ein Ansatz, der sich bewusst allen Kategorisierungen entzieht. Ihr Experiment kann jedoch auch politisch gelesen werden – als Plädoyer für neue Perspektiven jenseits unserer restlos durchökonomisierten Gegenwart. Ein Gespräch mit Christian Kerez über architektonische Freiheiten.
Von Stephan Becker
Herr Kerez, worum geht es in Ihrem Beitrag?
Die Idee war, einfach einen Raum zu bauen. Aber eben keinen Raum, der eine bestimmte Funktion oder einen besonderen Kontext aufweist, sondern einen elementaren Raum, der in sich selbst seine Erfüllung findet. Wichtig war uns dabei, dass man den Raum nicht sofort erfassen kann. Der Raum ist äußerst komplex, die Hülle löst sich von der Form, wird körperhaft und drängt ins Innere. Alles besteht aus Faserbeton, als aus einem einzigen Material, und trotzdem ist der Raum unendlich reich an Texturen und Ornamenten. Mal flach und mal fließend, mal hügelig und mal schroff, aber eben immer ein einziges Ganzes. In diesem Sinne ist es auch wirklich ein architektonischer Entwurf und nicht einfach nur eine Collage.
Wie kamen Sie zu Ihrer Form?
Das war tatsächlich gar nicht so einfach. Entwerfen bedeutet ja immer, sich ein konkretes Ergebnis vorzustellen, und das macht den Prozess vorhersehbar. Wie aber lässt sich dann ein Raum frei von Referenzen entwickeln, wie soll der aussehen, wie soll der gemacht sein? In einem Moment der Verzweiflung haben wir begonnen, mit den Fragmenten unserer bisherigen Versuche zu arbeiten. Wir haben diese Hinterlassenschaften mit Gips ausgegossen und plötzlich war die Formfindung eben nicht mehr vorhersehbar, sondern wurde vollkommen rätselhaft. Mit dem Computer haben wir diese Form dann digitalisiert und skaliert und damit an den menschlichen Maßstab angepasst.
Geht es Ihnen dabei um die Autonomie der Architektur im Gegensatz zu Alejandro Aravenas eher sozial orientiertem Ansatz?
Aravenas Biennale-Konzept lässt sich ja auf sehr unterschiedliche Weise deuten. Ihn interessiert ja auch, dass die gegenwärtigen Konflikte und Herausforderungen das Potential für neue architektonische Lösungen beinhalten. Sein Leitmotiv ist die Frau auf der Leiter, und diese Leiter ist eben nicht funktional zu verstehen, sondern die Frau schleppt sie durch die Wüste, um sich neue Perspektiven zu erschließen. Und darauf kommt es meiner Meinung nach an: Unser Raum ist wie diese Leiter, er ermöglicht neue Erkenntnisse aus der Distanz, die zugleich einen frischen Blick auf unseren Berufsalltag eröffnen können. Und gerade deshalb ist es wichtig, dass sich unsere Form allen üblichen Kategorisierungen entzieht.
Es geht also auch darum, dass Architektur einer gewissen Freiheit bedarf?
Das ist für mich eine zentrale Frage, ja. Im Alltag ist man ständig mit einer Vielzahl an Zwängen konfrontiert, mit Baugesetzen, den Wünschen der Bauherren, dem Budget oder dem Zeitplan. Aber nur, weil man diesen Anforderungen gerecht wird, bedeutet das noch lange nicht, dass man auch eine architektonisch relevante Aussage macht. Dafür braucht es Unabhängigkeit, denn damit eine gewisse Bedeutung entsteht, muss man die Vorgaben für neue Erkenntnisse nutzen. Vielleicht wie bei einem Befreiungskünstler, der aus jeder Situation einen Ausweg findet. Aber ehrlich gesagt, ich bin umgekehrt natürlich auch stolz darauf, dass wir hier trotz aller Experimente Budget und Zeitplan einhalten konnten.
Zeigt Ihr Raum damit auch eine Zukunft, die nicht einfach nur in den Problemen der Gegenwart verharrt, wie vielleicht manche Projekte der Hauptausstellung?
Da muss man differenzieren, denn auch bei Aravena gibt es einige Entwürfe, die in diesem Sinne als architektonisches Statement zu verstehen sind. Aber es stimmt, unser Anliegen ist es zunächst mal nicht, gesellschaftliche Probleme zu lösen. In gewisser Weise geht es um eine rein architektonische Fragestellung, die dann aber natürlich auch wieder zu konkreten Projekten führen kann.
Eine Höhle jenseits der alltäglichen Rationalität – darin kann man auch eine Parallele zum Expressionismus sehen.
Gerade die frühe Moderne interessiert mich als Übergangsphase sehr, weil dort eben noch vieles offen war. Der Zeichner Paul Scheerbart oder die Gläserne Kette – sie wollten eine neue Sprache finden, und für mich ist dieser Prozess eben nicht abgeschlossen. Gleichzeitig steht unser Entwurf aber auch in der Tradition der CAD-Architektur, die hier aber im Innenraum einen handwerklichen, ja fast schon archaischen Charakter bekommt. Damit verbinden sich Sphären, die sonst deutlich voneinander getrennt sind. Das ist das Neue bei diesem Projekt.
Steckt im archaischen Charakter auch ein Sehnsuchtsmoment?
Für mich persönlich auf jeden Fall. Ich war schon lange fasziniert von Architekten wie Antoni Gaudí oder Francesco Borromini und jetzt konnte ich endlich ein Projekt verwirklichen, das zumindest ein wenig in diese Richtung geht. Interessant ist aber auch, dass allein schon die physische Präsenz des Raums aus einer anderen Zeit zu stammen scheint. Denn diese läuft der Leichtigkeit und Kurzlebigkeit vieler heutiger Architekturpräsentationen ja komplett entgegen.
Höhlen entstehen allerdings unter natürlichen Bedingungen – Ihr Projekt ist hingegen Hightech.
Sicherlich spielt Technologie eine wichtige Rolle, denn vor zehn Jahren hätte man wahrscheinlich nicht mal die bei der Digitalisierung entstandene Datenmenge speichern können. Aber umgekehrt muss man eben auch sagen, dass selbst eine Höhle gewissen nachvollziehbaren Regeln unterworfen ist. Unser Formfindungsprozess war da letztlich viel unberechenbarer. Vielleicht stellt sich darum auch eine gewisse Sakralität ein, wie sie manche unserer Besucher beschreiben. Weil die Form eben nicht einfach nur naturhaft ist, sondern auch technisch, sie sich aber trotzdem ein Stück weit dem Verstehen entzieht.
Wird diese Technik bei Ihrer Arbeit in Zukunft öfter zum Einsatz kommen?
Um ehrlich zu sein, für mich hatte der Anwendungscharakter zunächst mal keine Relevanz. Wie gesagt, es ist eher Grundlagenforschung, weil hier Prozesse zusammenkommen, die bisher noch nie kombiniert wurden. Und in dieser Form wie hier im Schweizer Pavillon bleibt das sicherlich eine Ausnahmeerscheinung – aber das gilt ja für viele architektonisch spannende Ansätze. Umgekehrt gilt aber auch: Mir würde es durchaus gefallen, wenn es plötzlich hunderte solcher Räume gäbe.
Fotos: Nils Koenning, Gaëtan Bally, Oliver Dubuis
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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bernhard s. | 29.05.2016 21:54 Uhrauch vor ort
ja, es ist beeindruckend,
aber auch nicht mehr, als eine geisterbahn, ein rummel oder ein seerobbengebirge in einem zoo,
der erkenntnisgewinn geht gegen null,
man kommt nicht klüger heraus,
der pavillon venezuela ist sehr zu empfehlen, wieder einmal,
ansonsten gebe ich meinem vorredner recht,
viel belangloses,
auch der deutsche pavillon ist zwar politisch sehr korrekt und spricht das aus, was dort wohl sowieso die meisten denken, aber die künstlerische umsetzung findet überhaupt nicht statt,
auch die gezeigten wohnprojekte sind erschreckend schlecht,