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18.02.2013

Die Zukunft ist jetzt!

Ein Gespräch mit Anne Lacaton


„Wer ein Gebäude abreißt, um es an gleicher Stelle in zeitgemäßem Look wieder aufzubauen, hat prinzipiell gar nichts gewonnen.“ Die Architekten Frédéric Druot, Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal haben 2004 mit ihrer Studie PLUS für Aufsehen gesorgt: Für das gleiche Geld, das Abriss und Neubau eines Appartements kosten würden, könnten drei bis vier bestehende Wohnungen modernisiert und erweitert werden. Der Beweis für das vorgeschlagene Architekturrecycling steht seit einem Jahr im Pariser Norden und blickt mit seinen 16 Etagen auf den Boulevard Péripherique: Der Tour Bois le Prêtre: 1961 von Raymond Lopez als elegantes Wohnhochhaus mit Split-Level und Maisonette am Stadtrand von Paris gebaut, in den Achtzigern im Rahmen einer haustechnischen Sanierung bis zur Unkenntlichkeit umgestaltet und 2011 von Druot, Lacaton & Vassal in ein völlig neues Wohngebäude transformiert. Die Ausstellung „Druot, Lacaton & Vassal – Transformation eines 60er-Jahre-Wohnhochhauses“ bringt das Projekt von Paris nach Berlin. Jeanette Kunsmann hat mit Anne Lacaton gesprochen.

Die Geschichte der Tour Bois le Prêtre gleicht einem Märchen, das Projekt hat Sie lange begleitet. Mit welchen Schwierigkeiten mussten Sie kämpfen?

Anne Lacaton: Das Projekt ist Teil einer Studie, die Jean-Philippe und ich 2004 zusammen mit Frédéric Druot begonnen haben. Die Qualitäten des sozialen Wohnungsbaus und der Umgang mit dem Bestand waren zu dieser Zeit in Frankreich ein großes Thema. Mit dem Wettbewerb für den Umbau des Tour Bois le Prêtre konnten wir dazu endlich an einem konkreten Beispiel arbeiten. Als wir das Projekt gewonnen hatten, begann für uns erst die wesentliche Arbeit: die Kooperation mit den Bewohnern – sie sollten ja während der Bauphase weiterhin in dem Turm wohnen. Viele hatten zunächst Angst vor dem Umbau, weil sie nicht wussten, was ihnen bevorsteht.

Wir hatten zwei Hauptideen: Die erste war die Erweiterung und Verbesserung des Wohnraums; zweitens sollte das Projekt für und mit den Bewohnern realisiert werden. Auf diese Weise konnten wir mit einem großen Vertrauen der Mieter in das Projekt starten. Die ersten sechs Monate viele Besprechungen; dann haben wir die Pläne überarbeitetet, die Typologien verändert und angepasst. Nach den Gruppentreffen haben wir alle Bewohner einzeln besucht, sind mit ihnen die einzelnen Schritte durchgegangen und haben die jeweiligen Baumaßnahmen besprochen.  

…wie ein Hausbesuch vom Arzt! 

Ja, ein bisschen war es so – bei 100 Wohnungen ein nicht ganz unkomplizierter Prozess! Aber: Die enge Zusammenarbeit mit den Bewohnern war eine der Chancen des Projekts. Auf diese Weise ist für uns neben dem Bauherrn ein dritter Partner entstanden. Es gab viele Diskussionen, besonders standen dabei die Mietkosten nach dem Umbau im Fokus. Manche wohnen seit 50 Jahren dort! Unser Ziel war es, dass sich die Mieten in den nächsten sechs bis sieben Jahren schrittweise annähern, die Mieten aber generell kaum steigen.

Vor einem Jahr waren die Bauarbeiten fertig – wie sieht der Tour Bois le Prêtre heute aus?


Ein Gebäude, in dem 100 Familien wohnen, verändert sich ständig. Kurz nach der Fertigstellung waren wir noch viel vor Ort, aber jetzt ist es eher selten geworden. Es war Zeit, uns abzunabeln.

Der Umbau ist ein Schlüsselprojekt für Sie – Sie arbeiten gerade an ähnlichen Projekten in Saint Nazaire und Bordeaux. Wie sieht die Planung dort aus? 

Das Wohnhaus in Saint Nazaire ist fast fertig, es wird im Sommer bezogen. Es war etwas unkomplizierter, denn alle Appartements standen während des Umbaus leer. In Frankreich herrscht ja nur in Paris ein großer Mangel an Wohnungen, woanders ist die Situation entspannter. In Bordeaux haben wir den Wettbewerb 2011 gewonnen, wahrscheinlich kann hier in wenigen Monaten mit den Arbeiten begonnen werden. Aber die Projekte sind sehr anders. Der Tour Bois le Prêtre ist ein sehr verdichteter Block mit nur einem Eingang, die Gemeinschaftsbereiche sind extrem eng und klein. In Bordeaux können wir zum Beispiel einen Riegel nach dem anderen umbauen – das ist für die Bewohner natürlich viel angenehmer. Es geht auch schneller voran: Ein Block mit 45 Appartements wird in etwa vier Monaten umgebaut sein.

Das Haus am Cap Ferret, der Platz in Bordeaux, die Schule in Nantes, das Palais de Tokyo und der Tour Bois le Prêtre: Alles sehr unterschiedliche Projekte. Gibt es eine typische Handschrift von Lacaton & Vassal? 

Wir entwickeln unsere Projekte immer von innen nach außen. Das Palais de Tokyo war aber ein komplett anderes Projekt als der Tour Bois le Prêtre. Das Erdgeschoss ist nicht als Ausstellungsfläche ausgelegt, es ist ein dunkler Raum – sieht man nur den Plan, ist es wirklich kein Ort, um Kunst auszustellen. Wir sind den gesamten Raum abgegangen und kannten jeden Quadratmeter. Wenn man aber in dem Gebäude ist, den Raum spürt und sich vorstellt, wie er auch sein könnte, wendet sich das ganze Projekt.

Das Haus in den Bäumen, das wir 1998 am Cap Ferret gebaut haben, ist genauso. Wenn man die Situation mitten zwischen den Bäumen nicht spürt, wird man nicht verstehen, wie wichtig diese für das gesamte Haus sind. Uns war von Anfang klar, dass wir keinen einzigen Baum fällen, nicht einen. Genauso wie in dem Tour Bois le Pretre: Die Bewohner sind wie Bäume im Wald – welches Recht habe ich als Architekt, dies zu verändern und zu entscheiden, was gut und was schlecht ist?

Stichwort Nachhaltigkeit: Wie gehen Sie damit um und wie ist Ihre Haltung?

Ich denke, das ist eine wichtige Frage. Architektur sollte auf eine bestimmte immer nachhaltig sein. Aber Nachhaltigkeit ist mehr als Energie sparen – all die technische Regulationen sind nicht besonders interessant, sie halten lediglich den Wettbewerb am Laufen und bewirken oft das Gegenteil. Nachhaltiges Bauen ist heute mehr und mehr ein Thema von Politik und Wirtschaft geworden: Nachhaltigkeit ist eine Marketing-Strategie. Ein Modell, das man durchaus kritisch betrachten muss; es gibt ja bereits erste Diskussionen und Seminare, die das Label der Nachhaltigkeit hinterfragen.

Wie werden wir in Zukunft wohnen? Haben Sie eine Vision?

Ich frage mich nicht, wie die Zukunft sein wird. Warum zwanzig Jahre weiter denken? Die Zukunft ist jetzt! Ich denke, gerade ist es für Architekten sehr wichtig, über Wirtschaftlichkeit nachzudenken. Wie produziere ich mehr für weniger? Mehr Raum zu generieren – viele Menschen leben in engsten Verhältnissen – ist aber keine Frage des Budgets! Wir müssen umdenken.   

Die Ausstellung „Druot, Lacaton & Vassal – Tour Bois le Prêtre“ ist noch bis zum 31. März 2013 im
Deutsches Architektur-Zentrum, Köpenicker Straße 48/49, 10179 Berlin, zu sehen. Das Gespäch fand am Donnerstag im Rahmen der Eröffnung statt.

www.daz.de


Video:

Paris, Frankfurt from Ilka & Andreas Ruby on Vimeo.



Zum Thema:

Pirjo Kannisto
in einem Film von Simon Menges und Julian Landweer

Druot, Lacaton & Vassal: Tour Bois le Prêtre, Paris
Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt 2012
Kuratiert von Ilka & Andreas Ruby und Something Fantastic


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