„This one is for the Girls, Women and Grannies, and the Men that support them” – diese Widmung zu Beginn der Graphic Novel
Eileen Gray. A House under the Sun veranschaulicht auch gleich die Absicht der beiden Autorinnen: Die Bedeutung der Villa E.1027 ist eng mit der Biographie ihrer Architektin verknüpft und den Schwierigkeiten, als Frau Anerkennung zu erhalten. Die Illustratorin
Zosia Dzierzawska zeichnet entlang der Texte von
Charlotte Malterre-Barthes eine grafische Biografie Eileen Grays (1878–1976) nach. Als Frau arbeitete Gray mit den berühmtesten Männern in der modernen Architektur und im Design zusammen.
Gray war ausgebildete Möbeldesignerin und selbsterlernte Architektin. Nachdem ihr Werk und ihr Name für mehrere Jahrzehnte vergessen waren, ist Ende des 20. Jahrhunderts das Interesse an ihren Entwürfen wieder erwacht. Mittelpunkt von Malterre-Barthes’ Geschichte ist Grays Villa E.1027, errichtet zwischen 1926 und 1929 in Roquebrune-Cap-Martin an der französischen Riviera. Gray baute sie gemeinsam mit dem Architekten und Herausgeber der einflussreichen Architekturzeitschrift „L’Architecture Vivante“
Jean Badovici. Badovici war damals ihr 15 Jahre jüngerer Lebensgefährte.
Die Handlung der Graphic Novel setzt 1965 mit dem Tod
Le Corbusiers an und entspinnt sich in zahlreichen Rückblenden. Le Corbusier verstarb beim Schwimmen just unterhalb von E.1027. Er war ein enger Freund Badovicis und begeistert von der Villa. Zwischen 1938 und 1939 bemalte der Maître sieben Wände der Villa, was Zosia Dzierzawska nicht farbig, sondern in dunklem Grau und Schwarz dargestellt. Denn Gray empfand Le Corbusiers Malereien als Respektlosigkeit gegenüber ihrem Werk. Sie sollte nie wieder ihr Haus betreten. Nach der Trennung von Badovici übernahm dieser das Haus. Mit jener Episode endet die Graphic Novel.
In den zeitlich rückspringenden Kapiteln verfolgen Malterre-Barthes und Dzierzawska Grays Kindheit in Irland in den 1880er-Jahren; ihre Zeit in England in den frühen 1900er-Jahren; ihre Arbeit mit dem japanischen Designer Seizo Sugawara, von dem sie die fernöstliche Tradition der Lacktechniken lernte; bis zu ihren künstlerisch inspirativsten Jahren in Paris in den 1920er-Jahren, wo sie unter dem männlichen Pseudonym Jean Désert ein Geschäft für Inneneinrichtungen eröffnete. Jede Lebensetappe Grays illustriert Dzierzawska mit Zeichnungen unterschiedlicher Farbtöne, die durchgehend dezent eingesetzt sind, um Dzierzawskas weichen Zeichenstrich zu betonen.
Autorin und Illustratorin legen die förmliche „Entweihung” von E.1027 durch Le Corbusier und seinem tragischen Tod am Strand ins Zentrum der Novelle. Grays großartige Möbelentwürfe und Inneneinrichtungen kommen leider zu kurz. Ihre Designs sind auf den inneren Umschlagseiten als Muster abgebildet und tauchen sonst nur gelegentlich auf, wie der Sessel Bibendum EG 462. Diese spärliche Erwähnung von Grays eigentlichem Werk verwundert, sagen doch genau die Raffinesse und Eleganz ihrer Formen und Materialwahl mehr über die Designerin aus, als erfundene Dialoge mit karikiert überzeichnetem Personal.
Auffällig viel Platz räumen Malterre-Barthes und Dzierzawska dem geschriebenen Nachwort ein. Darin betonen sie nochmals, dass Grays Lebenswerk erst kurz nach ihrem Tod vom breiten Publikum anerkannt wurde, und sie beschreiben ihr schwieriges Verhältnis zu Le Corbusier. Zu ihm brach sie den Kontakt vollständig ab, nachdem er den Wänden von E.1027 mit seiner Malerei die angedachte, reine Funktion nahm. Auch widerlegte Le Corbusier nie das Vorurteil, er sei eigentlich der Architekt der Villa gewesen, ließ die Öffentlichkeit in einem falschen Glauben um seine Person und raubte schließlich Eileen Gray die Anerkennung.
(eb)
A House Under the Sun. Eileen Gray’s E.1027
Zosia Dzierzawska mit Charlotte Malterre-Barthes
136 Seiten
Nobrow, London/New York 2019
ISBN 978-1910620434
18,77 Euro
Zum Thema:
E.1027 liegt wohl aktuell im Trend, denn auch Peter Adam und Wilfried Wang publizierten kürzlich ein Buch über das Haus – wenn auch mit völlig anderer Zielsetzung.