Im März 2020 flogen die beiden Architektinnen und Autorinnen Doris Kleilein (Leiterin Jovis Verlag) und Friederike Meyer (Chefredakteurin Baunetz-Meldungen) nach Los Angeles, um ein Fellowship am Thomas Mann House anzutreten. Doch das ursprüngliche Forschungsprojekt, das die beiden in Kalifornien durchführen wollten, war nach wenigen Tagen obsolet. Die erste Corona-Welle führte zur sofortigen Rückreise nach Berlin – und zum Nachdenken, was die Pandemie für Stadtplanung und Architektur bedeutet.
Die Ergebnisse dieses Nachdenkens liegen seit Ende letzten Jahres als handliche Publikation in kräftigem Blau vor. Die Stadt nach Corona ist eine kompakte Aufsatzsammlung, die 14 Essays europäischer und US-amerikanischer Autor*innen umfasst, die an die Stadt und ihr resilientes Potential glauben. „Die Pandemie hat gezeigt, dass Städte strukturelle Veränderungen brauchen, um auf künftige Krisen vorbereitet zu sein.“, schreiben die Herausgeberinnen in ihrem kurzen Intro. Sie verweisen insbesondere auf den Klimawandel. Aktuell würde man auch die Aufnahme Geflüchteter wieder nennen.
Den Auftakt des Buches macht ein dialogischer Beitrag von Maria Smith und Phineas Harper, die Teil des kuratorischen Teams der Osloer Architektur Triennale 2019 waren. In aktivistischem Duktus fordern die beiden Briten radikales „Degrowth“, schlagen dabei große Bögen und provozieren mit ihren radikalen Thesen, über die komplexen Zusammenhänge nachzudenken, die dem globalen Wirtschaften zugrunde liegen.
Die folgenden Beiträge sind gemäßigter in der Argumentation und konkreter im Gegenstand. Felix Hartenstein denkt in seinem Aufsatz „Stadt ohne Handel“ beispielsweise über neue Konzepte für Innenstädte nach. Agnes Müller beschreibt, wie „digitales Arbeiten Stadtviertel verändern könnte“. Klein- und Mittelstädte werden ebenso in den Blick genommen wie aktuelle Initiativen ländlichen Lebens, die Neuverteilung städtischer Verkehrsflächen oder die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln.
Den Abschluss bildet Tatjana Schneider, die in ihren „Anmerkungen zur gerechten Stadt“ mit Rückgriff auf die Klassiker Lucius Burckhardt, Peter Marcuse und Henri Lefebvre deutlich macht, dass die Produktion gerechter Stadt ein komplexer politischer Prozess ist, der neue Systeme und Institutionen sowie ernsthaften Durchhaltewillen verlange: „Das Recht auf Stadt kann kein fahrender Zirkus sein. Kurz aufschlagen, um dann doch wieder (überstürzt) aufzubrechen, bevor zu viele Spuren hinterlassen werden.“ Stattdessen fordert sie, dass „alle immer und immer wieder, immer und immer vehementer dafür kämpfen, dass kollektive Rechte (auf sauberes Wasser, auf saubere Luft, auf leistbares Wohnen, auf öffentlichen Raum und vieles mehr) langfristig verankert werden.“
Text: Gregor Harbusch
Die Stadt nach Corona
Doris Kleilein und Friederike Meyer (Hg.)
192 Seiten
Jovis Verlag, Berlin 2021
ISBN 978-3-86859-671-7
24 Euro
Das Buch ist auch auf Englisch erschienen.