Florian Heilmeyer ist Redakteur beim BauNetz und Architekturjournalist in Berlin. Seit Januar hat er mit Muck Petzet und Konstantin Grcic am Katalog zum diesjährigen Biennale-Beitrag gearbeitet. Dennoch schreibt er hier nicht als Sprachrohr des Biennale-Teams.
Vom süßen Nichtstun
Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal erzählen gern und oft, wie sie einmal durchsetzen konnten, nichts zu tun. Es ist ja auch eine schöne Geschichte. Es war ihr allererstes Projekt, 1996 in Bordeaux. Eigentlich war nach Ideen zur Verschönerung des Place Léon Aucoc gefragt worden, aber nach ausführlicher Analyse und einigen Gesprächen mit Anwohnern entschieden sie sich, das Budget lieber in die regelmäßige Reinigung und Pflege des existierenden Platzes zu stecken.
„Es war und ist uns wichtig, das als Projekt zu begreifen. Es ist keine Absage, sondern eine bewusste Entscheidung, an dieser Stelle nichts zu machen.“ Und warum auch nicht? Neben den Argumenten eines schlichten Wirtschafts-Pragmatismus’ und denen einer oft allzu hohl verwendeten, dennoch wichtigen Nachhaltigkeitsdebatte brauchen wir im Umbau insbesondere eine neue Lässigkeit, eine Selbstverständlichkeit, mit der sich eben nicht mehr das Weiterverwenden von Vorhandenem rechtfertigen muss, sondern der Neubau.
Eine Umkehr der Beweislast: Warum wollen Sie das Alte ersetzen? Welche Vorteile hat das? Sind wirklich nicht genügend Potenziale im Vorhandenen, die (um)genutzt werden können? Gäbe es vielleicht nebenan ein un- oder untergenutztes Gebäude, das verwendet werden könnte?
Alle stimmen zu: Der Umbau ist einer der wichtigsten Bereiche der Architektur. Nicht erst seit heute oder gestern, sondern eigentlich immer schon. Wieso werden dann die entscheidenden Diskussionen aber immer noch mit vermeintlich wirtschaftsfördernden Argumenten geführt? Wieso wird Abriss von vorhandener Substanz ebenso wie der Neubau auf der grünen Wiese alimentiert? Wieso wird die „graue Energie“ von Bestehendem nicht in die Ökobilanz eingerechnet, wenn für den angeblich so nachhaltigen Neubau erst abgerissen werden musste? Warum berechnet sich das Honorar des Architekten immer noch vor allem nach der Bausumme? Es geht um viel mehr als eine ästhetische oder rein architektonische Diskussion.
Nur einmal ganz kurz angenommen: Was würde eigentlich passieren, wenn der Erhalt des Vorhandenen staatlich gefördert würde und wenn Architekten und Ingenieure nach Ideen und nach Einsparungen honoriert würden, nicht nach Ausgaben?
Das bedeutet übrigens nicht den Umkehrschluss: Nie wieder Neubau! Selbstverständlich soll, ja, muss neu gebaut werden. Selbstverständlich muss auch weiter abgerissen werden, was nicht mehr zu verwenden ist. Nicht aller Bestand ist per se gut. Aber es geht – auch bei „Reduce Reuse Recycle“ dieses Jahr in Venedig – darum, nicht nur den denkmalgeschützten und als „historisch“ bewerteten Gebäudebestand um uns herum vor einem Abriss noch einmal genauer zu untersuchen, sondern diese Analyse auf allen Bestand (auch den alltäglichen, auch die Nachkriegsmoderne und sogar die Gebäude der 80er und 90er) auszuweiten. Der unverstellte, undogmatische Blick auf die bereits vorhandene Situation kann ungeahnte Potenziale und neue Allianzen aufscheinen lassen und Projekte entscheidend bereichern – sei es durch das Weiterverwenden von gebauter Substanz, sei es durch das Anknüpfen an vorhandene Ideen-Substanz. Vielleicht ist der scheinbar wertlose Schuppen, der dort steht, aus einem bestimmten Grund ja doch die beste Lösung?
Es geht darum, sich auf das Vorhandene einzulassen. Instrumente zu entwickeln, wie selbst alltägliche Situationen betrachtet, bewertet und dann entwickelt werden können. Der Baumeister wird zum Umbaumeister. Inklusive der Möglichkeit, einmal zu entdecken, dass die geringste Veränderung die beste sein kann. Denn erst dann schöpft die Architektur ihr gesamtes Potenzial aus: vom Nichtstun über das Ganzleichtjustieren bis zum Allesändern. Mit einem Büßerhemd oder einem neuen Zeitalter des Verzichts hat das überhaupt nichts zu tun. Sondern mit der wunderschönen Vorstellung einer sich ständig transformierenden Umbaudeutschlandschaft, die gesamte Stadt als unser Recyclinghof, die Architektur selbst als wertvollste Ressource. Eine schöne Vorstellung.
Florian Heilmeyer
Die erste Kolumne von Wolfgang Kil berichtet von wiedergenutzten Nachkriegspavillons an Warschauer S-Bahn-Stationen, Christian Welzbacher führt uns zu den Kühen und den Smithsons, Gerhard Matzig denkt über die furchtbare Wahrheit des „Less is more“ nach, Ursula Baus sieht das Umbauen als beste deutsche Nachkriegstradition, und Donatella Fioretti misst das Umbauen und Rekonstruieren an der Elle der Architekturtheorie.
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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Theresa Keilhacker | 22.08.2012 14:54 UhrVom süßen Nichtstun
Eine überzeugende Kolumne zum Biennale-Thema, Glückwunsch! Insbesondere Gerhard Matzig sollte sie lesen und seine grauen Assoziationen zum Thema "Vermeidung" getrost auf den Müll werfen. Stattdessen seine Sinne der kreativen Vielfalt zuwenden, die in der nachhaltigen These steckt - Denken und Umbauen vor Abriss und neu Bauen! Klar, das Thema ist für Architekten alt (und für manch einen Feuilletonisten zu wenig bunt), stellt sich jedoch jeden Tag auf's Neue neu und bleibt damit spannend.