Am 29. August 2012 wird die 13. Architekturbiennale in Venedig eröffnet. Das Thema des deutschen Beitrags „Reduce Reuse Recycle – Ressource Architektur“ stammt von Muck Petzet. Wir nutzen die Gelegenheit und lassen unsere Autoren rund um das „Wenigerbauen“ schreiben. Die Stuttgarter Architekturkritikerin Ursula Baus (frei04-publizistik) beschäftigt sich seit Jahren mit Themen wie Rekonstruktion oder Ressourcenschonung.
Revolte Rebellion Revolution
Verbarrikadiert hinter drei wohlfeilen Anglizismen, dürften sich die beiden diesjährigen Ausstatter des deutschen Pavillons in Venedig, Generalkommissar Muck Petzet und der Ausstellungsgestalter Konstantin Grcic, gewiss als tapfere Gutmenschen in die Offensive wagen – auch wenn man ihr Motto „Reduce Reuse Recycle“ nicht gerade geistreich finden muss. Mit dem „Schrumpfen“ waren andere doch schon weiter.
Es stimmt natürlich: Es dreht sich einem der Magen um, wenn man an den ganzen unnötigen, miserablen Kram denkt, der Tag für Tag auf neu ausgewiesenem Bauland gebaut wird. Und an die vielen Häuser, die ohne Not und Verstand erst verteufelt, dann abgerissen und durch schaurige Neubauten ersetzt werden. Allen Produzenten dieses Schunds und auch den dazu gehörenden Bauherren sei ein Büßerhemdchen übergeworfen, in dem sie den beiden mönchisch wirkenden Biennale-Gestaltern reumütig folgen und ihr schändliches Tun fürderhin bleiben lassen.
Wir stellen uns außerdem vor: Der Herr Minister Dr. Peter Ramsauer verkündet bei der Eröffnung des Deutschen Pavillons am 28. August um 16.30 Uhr in Venedig in flammender Rede, man dürfe ab sofort bundesweit weder neue Einfamilienhaus-, noch Gewerbegebiete ausweisen. Gesetzlich seien alle Bauherren dazu verpflichtet, sich ausschließlich nach nutzbarer Bausubstanz umzusehen. Das BMVBS zwinge die deutsche Bauindustrie, ihre Produktion um 50 Prozent zu senken und die verbleibenden 50 Prozent aus rezykliertem Material zu produzieren. Und das BMVBS stelle seine eigene Neubautätigkeit komplett ein. Menschen, die mehr als 30 Quadratmeter bewohnen, müssen monatlich 50 Euro pro Quadratmeter für gemeinnützige Zwecke zahlen. Der Baukonsumgesellschaft sei der Kampf angesagt! Ja, hätte der Minister denn noch alle Tassen im Schrank? Denn die Verhältnisse, die sind nicht so.
Es ist schon recht und vielleicht auch tadellos, wenn Weiternutzen, Pflegen, Recyceln und auch Verzichten allüberall beim Bauen gefordert wird. Aber mit ein paar artigen Appellen und schnuckeligen Projekten ist es nicht getan, wenn an den Verhältnissen – man könnte auch sagen: am System – etwas geändert werden muss. Appelle in RRR-Manier gibt es doch schon so viele. Ist es jetzt an der Zeit, dass Revolte, Rebellion und Revolution dran wären? Aber nein. Zu befürchten wären Tumult und Trümmer, was keineswegs im Sinne der allfälligen Bauabfallvermeidung wäre.
Strategisch befremdlich mutet, das sei nicht verschwiegen, eine Behauptung der Biennalisten an: Umbau sei nicht attraktiv. Unsinn, da scheint eine starke Strömung gerade bundesdeutscher Nachkriegstradition an ihnen unbemerkt vorübergegangen zu sein. Döllgast, Böhm, Schattner, Oesterlen und viele andere – es ist ziemlich gut, was sie hinbekommen haben, nicht nur homöopathisch dosiert und weithin wertgeschätzt. Und alle Altbauten des 19. Jahrhunderts sind inzwischen umgebaut – keineswegs nur „ertüchtigt“. Da wirken Reduce Reuse und Recycle doch schon wie Öko-Folklore. Ganz einfach, weil ein Ideenrecycling nicht so funktioniert wie das der Materie.
Ursula Baus
Die erste Kolumne von Wolfgang Kil berichtet von wiedergenutzten Nachkriegspavillons an Warschauer S-Bahn-Stationen, Christian Welzbacher führt uns zu den Kühen und den Smithsons, während Gerhard Matzig über die furchtbare Wahrheit des „Less is more“ nachdenkt.