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17.08.2010

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Sehnsucht (acht): Wolfgang Kil

Die BauNetz-Kolumne vor der Biennale


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Am 29. August 2010 öffnet die 12. Architekturbiennale in Venedig ihre Pforten. Das Thema des deutschen Beitrags lautet „Sehnsucht“, und wir nutzen die Gelegenheit, um jede Woche einen Autor über Sehnsucht und Architektur schreiben zu lassen –  diese Woche schreibt Wolfgang Kil darüber, wie es ist, wenn die Architektur Sonntag hat:

Es gilt ja als unzulässig, Heimlichkeiten von Jurysitzungen auszuplaudern. Doch eine Beobachtung seit hier offen mitgeteilt: Es gibt doch verschiedene Arten von Preisgerichten. Am anstrengendsten sind wohl jene, auf denen die folgenschweren, teuren und unter historischer Bedeutsamkeit ächzenden Bauaufgaben verhandelt werden. Da ist über Funktion und Kontext, über Stil, Mach- und Bezahlbarkeit zu befinden. Schließlich geht es um enorme Auftragsvolumen, nicht selten werden politische Rücksichten und private Freundeskreise tangiert.

Dann gibt es aber auch die Kategorie der Ehrenpreise, die für bereits realisierte Bauten vergeben werden. Wenn alle Risiken der Planungs- und Bauphase glücklich ausgestanden sind, darf man sich auf das blanke Wohlgefallen konzentrieren. Da darf auch die Architektur einmal Sonntag haben. Dann wird man erleben, wie die Juroren sich zurücklehnen und zu Beginn einiger erholsamer Stunden einander erst einmal ihr berufliches Credo bekennen. Wobei sich schon hier, in der Aufwärmphase, herauszustellen pflegt, dass der durchschnittliche Preisrichter – egal, welchen Alters oder welcher Lehrmeinung verpflichtet – alles „Modische“ entschieden ablehnt, dafür aber solide Handwerklichkeit natürlich zu schätzen weiß. Selbst wenn anschließend noch gelinder Streit ausbrechen sollte – am Anfang sind alle einträchtig von den gleichen Idealen beflügelt, von den ewigen Konstanten der Profession, jenen hochmoralischen Lehr- und Leitsätze der allerersten Entwurfsübungen, die man an Schulen im Norden oder Süden, im Westen wie im Osten gleichermaßen verinnerlichen durfte, eine „ästhetische Grundsozialisation“ sozusagen: Klarheit, Einfachheit, Ehrlichkeit. War es denn nicht wirklich das, was uns im innersten Herzen an diesen Beruf bindet, warum wir ausgerechnet ihn wählten und nie einen anderen?

Juroren sind auch nur Menschen. Warum sollen sie bei aller rasenden Dynamik ihres computerisierten Berufslebens sich nicht auch manchmal nach einer elementaren Geste sehnen, nach der meditativen Stille des japanischen Gärtchens beispielsweise, um dort, im sanften Schattenspiel unaufgeregter Geometrien, sich vom ewigen Gerangel mit der Komplexität zu erholen. Anders sollte er nicht zu erklären sein, der Kontrast zwischen der immer weiter zunehmenden Größe und Formenvielfalt neuzeitlicher Bauaufgaben einerseits, und der Vorliebe andererseits für eher kleine, überschaubare, „geradlinige“ Projekte, die auf solchen Ehrenpreisgerichten unverkennbar dominiert.

Um es überspitzt zu sagen: Wenn die Architektur Sonntag hat (und nicht gerade wieder ein Markenmuseum für Premium-Automobile eröffnet wurde), stehen die Chancen jedes brav verwitterten Heuschobers am kahlen Berge besser als die all der exaltierten Lückenfüllungen zwischen Bahnhof und Gewerbegebiet. Back to the Roots, könnte man das hier waltende Sehnsuchtsmotiv beschreiben, denn ist es nicht erstaunlich, wie Das Haus – im Gegensatz zur sonstigen Entwurfspraxis – an solchen Sonntagen selten mehr als vier gerade, glatte Wände hat und obendrauf am liebsten sogar ein steiles Dach?

Wolfgang Kil (*1948) ist Architekturkritiker und Publizist aus Berlin und hatte schon während des Studiums ein Faible für die Ausstellung „Architektur ohne Architekten“, die damals gerade ihre Welttournee begann.


Zuvor haben in unserer „Kolumne der Sehnsucht“ bereits die Generalkommissare des deutschen Pavillons über die Sehnsucht als kreative Antriebskraft geschrieben, Bart Lootsma hat von den 1980er-Jahren und seinem Tattoo erzählt, bevor Wolfgang Bachmann über den Sinn des modernen, feuilletonistischen Cross-Sellings nachdachte, Benedikt Hotze von der retrospektiven und der prospektiven Sehnsucht schrieb, Arno Lederer von der Sehnsucht, die ihn auf Bausitzungen überkommt, und Brigitte Schultz von der unerfüllbaren Natur der Sehnsucht berichtete. Die Kolumne läuft voraussichtlich noch bis zur Eröffnung der Architekturbiennale.


Zum Thema:

Download der BAUNETZWOCHE#178 „Sehnsucht”


Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

2

alberto | 17.08.2010 19:21 Uhr

kil's Einfachheitssehnsucht kompliziert ausgedrückt

Natürlich hättest du Recht, wenn du meinen solltest, dass Architektur immer dann am besten ist, wenn sie Komplexität nicht bewältigen muss, also dann, wenn Firmitas und besonders Utilitas fehlen dürfen. Venustas kann dann archaisch glänzen. In dem Bereich finden wir doch immer noch die aller schönste Architektur, eben keine Zweckbauten. (Aber meinst du das eigentlich? Das hätte man dann aber wesentlich deutlicher und stringenter sagen können).
Herzliche Grüße

Volker Roscher

1

Stefan Forster | 17.08.2010 17:29 Uhr

Kil

ganz wunderbarer Text Herr Kil - Kompliment

 
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