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21.07.2010

Sehnsucht (vier): Benedikt Hotze

Die BauNetz-Kolumne vor der Biennale


Am 29. August 2010 öffnet die 12. Architekturbiennale in Venedig ihre Pforten. Das Thema des deutschen Beitrags lautet „Sehnsucht“, und wir nutzen die Gelegenheit, um jede Woche einen Autor über Sehnsucht und Architektur schreiben zu lassen – diese Woche Benedikt Hotze:

König Nebukadnezar ließ die hängenden Gärten von Babylon anlegen, um die Sehnsucht seiner Frau Amytis nach den Paradiesen ihrer Kindheit zu stillen. Da haben wir’s: Die Sehnsucht ist meist retrospektiv. Auch ich ertappe mich dabei, die Orte meiner Jugend zu romantisieren. Manchmal gönne ich mir sogar die physische Erfüllung und fahre dorthin. Es sieht dann alles noch aus wie früher, doch kaum jemand, den ich kenne, ist heute noch dort anzutreffen. Der einst lebendige Ort ist Kulisse geworden.

Anderen reicht eine solche Kulisse. Sie sehnen Orte und Gebäuden zurück, die es nicht mehr gibt. Der Inhalt ist ihnen nicht wichtig, sie akzeptieren selbst Shopping-Malls hinter Schlossmauern, wie in Braunschweig. Ihre Reko-Sehnsucht könnte man mit etwas Umdeutungsphantasie als prospektive Sehnsucht lesen, richtet sich ihr Rekonstruktionswunsch doch auf ein Handeln in der Zukunft.

Sehnsucht nach der echten, unbekannten Zukunft hingegen hegen erstaunlich Wenige. Den Meisten ist es recht, wenn es so bleibt, wie sie es kennen. Vielleicht ist das der Schlüssel dazu, dass so Viele die zeitgenössische Architektur ablehnen. Wenn jemand Sehnsucht nach einem Neubau hat, dann meist, weil er sich auf den Inhalt freut: das eigene Heim, eine neue Schule für seine Kinder, ein schöneres Museum für seine Stadt, ein größeres Stadion für seinen Verein. Sich auf Neubauten um der neuen Architektur willen zu freuen, ist ein Phänomen, das fast ausschließlich der Zunft der Architekten vorbehalten ist.

Ich gehöre zwar auch irgendwie zu dieser Zunft, aber als jemand, der über Architektur neutral berichten soll, erlaube ich mir Sehnsüchte erst gar nicht. Weder sehne ich mich nach weiteren Bilbao-Effekten, noch brauche ich das nächste Kollhoff-Townhouse mit klassizistischem Giebeldreieck. Nicht einmal das nachhaltige Bauen zum Klimaschutz löst eine Sehnsucht in mir aus, weil es heute eine Selbstverständlichkeit sein sollte.

Wenn es denn bei mir eine architektonische Sehnsucht gibt, dann ist es eine private, die ich mir bereits erfüllt hatte: ein Kleinod der klassischen Moderne aus den Zwanziger Jahren von Bruno Taut als Wohnort für meine Familie herzurichten. Ich wohne dort inzwischen nicht mehr, bin darüber aber nicht traurig, sondern dankbar für die gemachte Erfahrung: dass sich Sehnsüchte erfüllen lassen.

Benedikt Hotze ist seit 1996 BauNetz-Redaktionsleiter.

Zuvor haben hier die Generalkommissare des deutschen Pavillons (Sehnsucht eins), der niederländische Architekturhistoriker und -kritiker Bart Lootsma (Sehnsucht zwei) geschrieben, sowie Wolfgang Bachmann, Chefredakteur der Zeitschrift „Baumeister“ geschrieben (Sehnsucht drei).


Zum Thema:

Download der BAUNETZWOCHE#178 „Sehnsucht“


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