Hashim Sarkis Biennale-Frage „How will we live together?“ ist ein Appell an die Kurator*innen, über zukünftige Gemeinschaften und deren Architektur zu spekulieren. Der Deutsche Pavillon zeigt mit „2038 – The New Serenity“ eine im internationalen Vergleich einzigartige Geste der optimistischen Zukunftsimagination. Präsentiert wird ein starker Glaube an die menschliche Fähigkeit zur Konfliktlösung, dank der sich unsere aktuellen planetarischen Krisen überwinden lassen. Ein leerer Pavillon in Venedig verweist auf den digitalen Raum, die Inhalte werden über mehrere Filme präsentiert. Laura M. Lampe und Alexander Stumm von BauNetz machten sich ein Bild der Lage im Jahr 2038 und sprachen mit Co-Kurator Olaf Grawert und der Mitwirkenden Charlotte Malterre-Barthes.
Das Grundkonzept der Ausstellung: Ein Rückblick aus dem Jahr 2038, in dem die Menschheit in eine neue Phase der Gelassenheit (serenity) gefunden hat. Der Pavillon setzt ganz auf Videoformate, für das Team um Brandlhuber+ mit den Kuratoren Arno Brandlhuber, Olaf Grawert, Nikolaus Hirsch und Christopher Roth schon seit längerem Mittel der Wahl. Das Programm besteht aus einem Introfilm (Drehbuch: Leif Randt) und sechs als Dokumentationen aufgezogene „History Channels“, für die die Kuratoren eine beeindruckende Anzahl an Expert*innen an Bord geholt haben. Sie berichten in Interviews, wie die großen Probleme der 2020er und 30er Jahre schrittweise alle gelöst wurden.
Es geht also wirklich gleich um alle großen Themen, die uns heute umtreiben: Digitalisierung und ihre spezifischen Ausprägungen wie die Plattform-Ökonomie, die Ausbeutung planetarer Ressourcen, den auf struktureller Benachteiligung aufbauenden Kapitalismus oder neue Formen des Zusammenlebens. Kann das gut gehen? „Natürlich ist die Ausgangsthese auch eine Provokation“, meint Malterre-Barthes. „Für uns ist es aber wichtig aufzuzeigen, dass die großen gegenwärtigen Fragestellungen alle zusammenhängen und nicht isoliert voneinander behandelt werden können“. Reden wir vielleicht überhaupt zu viel über Probleme? „Es ist vollkommen legitim, über Probleme zu diskutieren“, so Grawert. „Wir müssen kritisieren, aber wir müssen auch Lösungsansätze vorschlagen. Architekt*innen haben hier eine besondere Verantwortung, denn ihre Gestaltung hat weitreichende Konsequenzen. 2038 wirft einen optimistischen Blick in die Zukunft, denn wir haben sie selbst in der Hand.“
Was also führt zur neuen Gelassenheit? Es geht um De-Coding Social Relations, Enacting (Dis-)Ownership, Re-Conncecting (Eco)systems. Um Universal learning and teaching, Dezentralisierung von Macht, Infrastruktur und Gesellschaften, um die Trust-Society, um „new urban protocols“, Gamification, kryptographische E-Währungen, anpassungsfähige Systeme und Öko-Technologien. Schritt für Schritt entdecken wir eine Welt, in der Containerschiffe von Windsegeln gezogen werden, „Above water aquariums“ den artenübergreifenden Austausch zwischen Land- und Wasserlebewesen ermöglichen, wir dank 3D-Druckverfahren unsere Produkte selbst reparieren können, die Circular Economy Realität ist und wir unsere Identitäten in nicht-staatlichen und nicht-manipulierbaren Blockchains speichern.
Zwischendurch wird es aber auch konkreter und architektonischer. Als ein gelungenes Beispiel von Multi-Species-Cohabitation führt Mitchell Joachim die Ausrichtung von Fassaden für das Leben des Monarchfalters an, dessen Ausrottung dadurch gerade noch verhindert werden konnte. Alle Themen können aber freilich nur angerissen werden. Das führt dazu, dass scharfsinnige Geister wie Evgeny Morozov Sätze sagen wie: „Wir haben uns die Werte Solidarität, Zusammenarbeit und des Engagements von Aktivitäten zu eigen gemacht, die nicht von Rentabilitätserwartungen getrieben sind.“ Ausgangspunkt dafür war offensichtlich Stafford Beers Cybersyn-Projekt für Chile in den 1970er Jahren, wobei das in der verkürzten Darstellung nicht ganz klar wird.
Muss es ja auch nicht, denn das Ganze ist natürlich immer auch witzig gemeint, ästhetisch wimmelt es von Verfremdungseffekten. Die digitalen Animationen lassen die Studio-Situationen sichtbar, zur Gelassenheit der Protagonist*innen und der absichtlichen Über-Künstlichkeit des Settings treten in den einzelnen Themenfeldern klare Brüche auf. Und die für Brandlhuber+ Filme notorischen Schrift-Snippets laufen mit ostentativem Augenzwinkern in Wiederholungsschleifen über den Bildschirm. Die Filmbeiträge wollen also keine „reale“ Utopie zeigen. Stattdessen oszilliert die Haltung irgendwo zwischen einer ernsthaften Auseinandersetzung mit Lösungsansätzen, der trashigen Persiflage von Zukunftsvisionen und post-ironischer Post-Internet-Attitüde. Eine inhaltliche Kritik von 2038 wird dadurch müßig.
Die Entscheidung, den Pavillon in Venedig bis auf an die Wände geplottete QR-Codes vollkommen leer zu lassen, ist eine inmitten der Hochphase der Pandemie getroffene Entscheidung. Eigentlich sollten die (vor Covid-19 abgedrehten) Videos im Pavillon gezeigt werden, die digitale Komponente nur als Erweiterung dienen. „Bei den Zoom-Meetings mit Kurator*innen aller Pavillons gab es viele Gespräche über die Lage“, so Grawert. „Tatsächlich konnten einige Pavillons nicht eröffnen, weil die Teams aufgrund der Coronasituation nicht reisen durften. In vielen Ländern kann man sich einen Besuch in Venedig ohnehin niemals leisten. All diese Geschichten machen demütig. Deshalb unsere Entscheidung, die Zugänglichkeit so groß wie möglich zu machen und die Biennale zu demokratisieren.“
Der Deutsche Pavillon ist virtuell über 2038.xyz sowie über Google Arts & Culture erlebbar und bis 21. November 2021 in Venedig zu besichtigen. Zur Ausstellung erschien ein Katalog bei Sorry Press und eine Ausgabe des Berliner Straßenmagazins Arts of the Working Class. Weitere Kooperationen umfassen das Programm mit Performing Architecture des Goethe Instituts im Laufe des Sommers in Venedig, unter anderem mit Rimini Protokoll sowie dem Archiv der Zukunft in der Kleinstadt Lichtenfels, das 2022 offiziell eröffnen wird.
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Agnès Laube | 14.11.2021 18:50 UhrDeutsche Leere
Natürlich haben die meisten Besucher:innen ein digitales Endgerät dabei (@Dr. Bertsch), in das sie sonst schon die ganze Zeit schauen. Für mich stellt sich die Frage, warum ich physisch an einen Ort reisen soll, in dem ich dann auf die digitale Welt zurückgeworfen werde. Ist entweder ein riesen Fail (oder eher schon Verarschung), ein Symbol für die Krise Deutschlands oder das Ende der Biennale als Format (was ich dann wieder interessant fände). Hmm.