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18.04.2024
Ein Pavillon und eine Insel
Deutscher Beitrag auf der Kunstbiennale Venedig
Raumschiffe, Klangfelder, Membranen, Monolithen – unter dem Stichwort „Schwellen“ versammelt der diesjährige deutsche Beitrag der Kunstbiennale in Venedig eine erstaunliche Vielfalt künstlerischer Ansätze. Geschickt gelingt es Kuratorin Çağla Ilk, die verschiedenen Arbeiten zu einer Gesamtkomposition zu fügen.
Von Stephan Becker
Nicht alle Besucher*innen werden den Weg auf die Insel La Certosa finden. Aber um den diesjährigen deutschen Beitrag wirklich begreifen zu können, empfiehlt es sich. Dort, nur eine kurze Vaporettofahrt von den Giardini entfernt, warten fünf Klanginstallationen, die mit Mitteln der akustischen Abstraktion auf sehr konkrete Weise ein Gefühl des Uneindeutigen erzeugen. Zwischen verlassenen Ruinen und verwilderter Vegetation entsteht eine Offenheit, die Raum für neue Gedanken lässt. Es sind Grenzbereiche zwischen verschiedenen Zuständen, die hier erfahrbar werden, was auch für die Insel selbst gilt. Einst Standort eines Klosters, war hier später das Militär zugange. Seither ist die Insel weitestgehend sich selbst überlassen. So mag es früher in der Lagune auch anderswo ausgesehen haben.
Die Arbeiten stammen von Louis Chude-Sokei, Robert Lippok, Jan St. Werner, Nicole L’Huillier und Michael Akstaller. Sie sind Teil von „Thresholds“, wie der Titel des diesjährigen deutschen Beitrags lautet – was sich mit Schwellen oder Grenzbereiche etwas zu technisch übersetzen lässt. Dass das Thema auch ein architektonisches ist, dürfte vermutlich kein Zufall sein. Schließlich ist Çağla Ilk, Kuratorin des Beitrags und zusammen mit Misal Adnan Yıldız Leiterin der Kunsthalle Baden-Baden, studierte Architektin. Über das Theater kam sie schließlich zur Kunst, wobei sie sich zuvor schon als Wissenschaftlerin mit multiperspektivischen Räumen auseinandergesetzt hat – nachzulesen im Interview mit der Bauwelt. Dazu passt natürlich das Prinzip der Schwelle. Hier endet etwas und gleichzeitig ist es der Beginn von etwas Neuem, ein Raum dazwischen, in dem etwas passieren kann. „Thresholds“ ist übrigens der erste deutsche Beitrag, der über die gesamte Laufzeit der Biennale hinweg einen weiteren Ort jenseits des Pavillons bespielt.
Irisierendes Licht im düsteren Pavillon
Nach der inspirierenden Stimmung auf der Insel erwartet die Besucher*innen vor dem deutschen Pavillon in den Giardini ein eher beunruhigendes, ja fast schon apokalyptisches Bild. Braune Erde drückt sich zwischen den monumentalen Stützen hindurch, was je nach Wetterlage an einen Sandsturm oder eine Schlammlawine denken lässt. Über den Seiteneingang gelangt man schließlich ins Innere. Die deutsch-israelische Künstlerin Yael Bartana bespielt hier beide Seitenflügel sowie die Apsis der zentralen Halle. Das Schwellen-Thema wird in ihrer Installation „Light to the Nations“ als ein Akt der technofuturistischen Erlösung erkennbar. Angesichts des Zustands unseres Planeten macht sich hier ein Kollektiv mit einem Raumschiff in eine unbekannte Zukunft auf. Mögliche soziale Dimensionen und gesellschaftliche Potenziale einer solchen Reise untersucht Batana zugleich mit einer choreografierten Videoarbeit. Ihre gestählten Körper und fast schon völkischen Tänze können dabei durchaus als ironisches Echo zum Nazibau verstanden werden. Schließlich stellt Bartana ihre Arbeit auch in die Kontinuität jüdischen Denkens mit seiner Geschichte von Flucht und Exil.
Ansonsten ist die zentrale Halle des Pavillons in ein mysteriös vernebeltes Halbdunkel getaucht. Nur schemenhaft lässt sich ein dreigeschossiges Volumen erkennen, dessen staubiger Putz an die Erde vor dem Eingang erinnert. Ersan Mondtag hat diesen Bau geschaffen, womit ihm eine der interessantesten Installationen gelungen ist, die hier jemals zu sehen war. Sein „Monument eines unbekannten Menschen“ konfrontiert die faschistische Ewigkeitsarchitektur mit einer postheroischen Geschichtsschreibung von unten. Anhand der Biografie seines Großvaters Hasan Aygün, der aus einem anatolischen Dorf nach Westberlin kam, um dort mit allen schrecklichen Konsequenzen jahrzehntelang für Eternit in der Asbestproduktion zu schuften, erzählt Mondtag von den dramatischen Schwellenerfahrungen, die viele migrantische Existenzen geprägt haben. Aus dem Dorf seines Großvaters stammt auch die Erde vor dem Eingang, die sich im Pavillon zu einer Art ideologischer Antimaterie verdichtet. Parkett liegt außerdem am Boden, das aus einem DDR-Kulturhaus stammt. Mondtag sieht Parallelen in migrantischen und ostdeutschen Arbeiter*innenbiografien, die mit der Wende und dem Ende der klassischen Industriegesellschaft kaum mehr Anerkennung fanden.
Über eine kleine Tür betritt man das Volumen, das fast schon bedrohlich aus unserem kollektiven Unterbewusstsein in die Gegenwart zu ragen scheint. Klaustrophobisch enge Räume zwischen Arbeitswelt und Wohnbereich reihen sich aneinander, es riecht scharf nach Werkstatt und Teer, nach Teppich und altem Rauch, was als eine Art verräumlichte Lebenslandschaft zu lesen ist. Fünf Performer*innen, geisterhaft stumm und doch sehr präsent, geben der Installation darüber hinaus eine eindringliche Körperlichkeit.
Nicht zuletzt ist „Thresholds“ dank Mondtags Monument eine überaus bewegende Erfahrung. Darüber hinaus ergeben sich aber auch im Dialog der Arbeiten interessante Konstellationen, wenn etwa vor Ersan Mondtags Wohnzimmerfenster plötzlich Yael Bartanas Raumschiff vorbeischwebt. Çağla Ilk beschreibt ihre kuratorische Herangehensweise als eine Form des pluralistischen Storytellings. Wenngleich ein Blick in den Ausstellungstext nicht schadet, finden die unterschiedlichen Herangehensweisen als vielschichtige Variationen des Schwellenthemas auch ganz von allein und auf bemerkenswerte Weise zusammen.
Fotos: Andrea Rossetti, Thomas Aurin
Zum Thema:
Die Kunstbiennale in Venedig läuft vom 20. April bis zum 24. November 2024. Die Insel Certosa ist vom Vaporetto-Stop Giardini B in rund 10 Minuten erreichbar.
deutscher-pavillon.org
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Der deutsche Pavillon in den Giardini begrüßt die Besucher*innen mit hervorquellender Erde. Diese stammt aus der Heimat von Ersan Mondtags Großvater Hasan Aygün. Die Installation ist Teil von Mondtags „Monument eines unbekannten Menschen“.
Wie schon öfters in den letzten Jahren wird der Pavillon durch die Seitentür betreten. Dort ist im Halbdunkeln zunächst ein Raumschiff zu erkennen, das zu Yael Bartanas Arbeit „Light to the Nations“ gehört. Angesichts der gegenwärtigen Realität des Planeten Erde brechen hier Menschen zu unbekannten Galaxien auf.
Auch auf der Stirnseite der zentralen Halle sind Arbeiten von Yael Bartana zu sehen. Mit „Farewell“ erforscht sie Gruppenrituale und -zeremonien sowie die umgebenden sozialen Bewegungen.
Werden sich auf der langen Reise im Raumschiff auch neue Gesellschaftsfomen entwickelt?
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