Vor zwei Tagen berichtete die BauNetz-Redaktion über den Abschluss einer Disziplinaruntersuchung an der ETH Zürich, die aufgrund von Vorwürfen gegenüber einem Professor am Departement Architektur wegen sexueller Belästigung eingerichtet worden war. In deren Folge wurde dieser vom Dienst freigestellt, er verlässt auf eigenen Wunsch zum Sommer 2019 die Hochschule. Heute veröffentlichte die Schweizer Zeitschrift Hochparterre unter dem Titel „Professor X“ einen detaillierten und sorgfältig recherchierten Beitrag zu den Hintergründen des Vorgangs. Der Text dürfte schon jetzt zu den meistgelesenen dieses Jahres zählen.
Die darin zitierten Aussagen ehemaliger Hochschulmitarbeiter und Hochschulmitarbeiterinnen, ebenso wie die von Studierenden, lassen tief in die Strukturen und das Selbstverständnis der Leitung der ETH Zürich blicken und verdeutlichen wie dringend diese hinterfragt, ja geändert werden müssen. So wird bespielsweise eine ehemalige Mitarbeiterin mit den Worten zitiert: „Für uns Betroffene ist unerklärlich, dass der Entscheid (der ETH Zürich) ihn (den Professor) vom Vorwurf sexueller Belästigung entlastet. Auch im Regelwerk der ETH beginnt diese nicht erst bei harten Übergriffen, sondern mit Anspielungen und anzüglichen Bemerkungen, sexistischen Witzen, unangemessenem und ungewolltem Körperkontakt, von Stalking ganz zu schweigen. All das passierte.“ Von einem anderen ehemaliger Mitarbeiter heißt es: „Als ich das Gespräch suchte, brüllte mich Professor X erneut an und bedrohte meine Karriere. Ich fühlte mich machtlos. Das war der Moment, in dem ich beschloss zu gehen.“
Der Text, geschrieben von Palle Petersen, ordnet die Geschehnisse an der Zürcher Hochschule chronologisch – von der Berufung des Professors, über die 2017 gestartete ETH-Kampagne zum Verhaltenskodex Respekt, bis hin zum Abschluss der im September 2018 eingeleiteten Disziplinaruntersuchung. Und er kombiniert die Formulierungen der ETH-Kommunikation mit Aussagen von Einzelpersonen, die aus verständlichen Gründen anonym bleiben. Erschreckend liest sich in diesem Zusammenhang die Aussage einer Betroffenen, dass für noch offene und zukünftige Anwaltskosten das Crowdfunding „Rechtsberatung für Belästigungsfall an der ETH“ gestartet wurde.
An der ETH Zürich, heißt es im Text, gebe es scheinbar keine detaillierten Regeln zum Disziplinarverfahren. An der Yale University seien solche Fragen ebenso wie die Dauer der Verfahrensschritte seit 1981 in einer klaren Prozedur dargelegt. Wie wichtig die Aufklärung und breite Debatte zum Thema Machtmissbrauch ist, verdeutlicht nicht zuletzt die Information im letzten Absatz des Textes, in dem es heißt: „Drei Wochen nachdem die ETH Professor X im September 2018 freigestellt und die Untersuchung eingeleitet hatte, startete er einen Lehrauftrag an einer anderen Universität.“ Wir bleiben dran. (fm)
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Den vollständigen Artikel lesen Sie hier: www.hochparterre.ch
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R. Liebig | 06.02.2019 17:32 UhrMeToo-Debatte eröffnet...
Ein krasser Fall an einer renommierten Ausbildungsstätte und damit im Focus. Aber sicherlich nicht nur dort existent. Auch in Deutschland wird es ähnliche Fälle geben, so wie überall, wo Männer sich nur dem eigenen "Genius" verpflichtet fühlen und das Recht auf Anzüglichkeiten und Übergriffe als selbstverständlich und positionsimmanent ansehen. Zur Macht gehört leider oft genug auch deren Missbrauch. Der verantwortungsvolle Umgang damit ist nicht für jeden ein Imperativ. Vor allem wenn eine Kultur des Schweigens und Wegsehens (oft aus Karrieregründen) das Fehlverhalten mindestens ermutigt.
Dieses Verständnis und die damit verbundene Wertschätzung von Frauen bzw. Untergebenen (sicher sind auch Männer Opfer, wenn auch in geringerer Zahl), ist in allen Bereichen der Arbeitswelt und auch im Privaten immer wieder anzutreffen. Architekten bilden da keine Ausnahme, sie sind moralisch nicht mehr gefestigt als andere Berufsgruppen, im Gegenteil. In vielen Büros und an vielen Lehrstühlen herrscht ein sehr intimes Arbeitsverhältnis. Auch das macht es leicht, die Abhängigen zu drangsalieren. Die Debatte ist eröffnet. Mal sehen, ob es auch in Deutschland Mutige gibt, die sich wagen dagegen vorzugehen.