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19.03.2020
Buchtipp: Marke Bauhaus 1919–2019
Der Sieg der ikonischen Form über den Gebrauch
Was hat eine Baumarktkette mit der gleichnamigen berühmtesten Kunstschule des 20. Jahrhunderts zu tun? Natürlich nichts, trotzdem darf sie so heißen. Warum das so ist, erklärt das Buch Marke Bauhaus 1919–2019. Der Sieg der ikonischen Form über den Gebrauch.
1960 eröffnet der Schreiner Heinz Georg Baus in Mannheim ein Geschäft für Handwerkerbedarf unter dem Namen Bauhaus. Als er mit dieser Idee expandieren will, meldet das Westberliner Bauhaus-Archiv Ansprüche an dem Namen an und wird 1974 vom Landgericht Mannheim abgewiesen. Autor Philipp Oswalt schlussfolgert: Es sei bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich gewesen, den Namen „Bauhaus“ umfassend als Kulturmarke zu schützen und von Zweckentfremdungen freizuhalten.
Das ist die zentrale Botschaft des Buches: „Bauhaus“ ist schon von 1919 an planmäßig als Marke im Sinne des Wirtschaftslebens angelegt worden. Folgerichtig benutzt Oswalt zur Beschreibung historischer Prozesse gern heutige Begriffe wie „Markenlaunch“, „Corporate Design“, „Kerngeschäft“ und „Marketing“. Schon 1923 wurde in Wassili Kandinskys Werkstatt für Wandmalerei am Weimarer Bauhaus eine tatsächlich so genannte „Reklameabteilung“ gegründet. Bauhaus-Meister Gerhard Marcks sprach in diesem Zusammenhang als Erster von einer „Marke Bauhaus“, wenn auch zunächst ironisch.
Und diese Marke, so die These des Buches weiter, stand und steht in den 100 Jahren der Bauhausgeschichte und -rezeption immer über den gestalterischen Werten, künstlerischen Idealen und sozialen Zielen des historischen Bauhauses, falls es diese denn überhaupt in einheitlicher Weise gegeben hat. Kurzum: Die Marke war immer wichtiger als die Inhalte.
Oswalts Buch bleibt erfreulicherweise nicht bei der Analyse des historischen Bauhauses stehen. Den weitaus größeren Anteil nimmt die posthume Rezeptionsgeschichte der Marke ein. So gelingt es Walter Gropius bereits 1938, fünf Jahre nach der endgültigen Schließung der Schule und zehn Jahre nach seinem eigenen Abgang mit einer Ausstellung im New Yorker MoMa, ein auf seine Person zentriertes, geschöntes und verfälschtes Bild zu zeichnen, das fortan zum Ausgangspunkt des weltweiten Bauhausmythos wird, der uns den Blick auf die historischen Ereignisse verstellt.
Heute ist die Marke außer Rand und Band geraten. Mit „Bauhaus“ kann und darf jeder alles vermarkten. Das Eindrucksvollste an diesem Buch sind die akribisch und mit boshafter Detailverliebtheit zusammengetragenen Bildstrecken, bei denen sowohl Merchandising-Produkte der drei „legitimen“ Nachfolgeinstitutionen in Weimar, Dessau und Berlin aufs Korn genommen werden als auch Makler-Websites, Ladenreklameschilder und Tourismuskampagnen – viele dieser Fundstücke strotzen vor unfreiwilliger Komik. Was einem zahlungskräftigen, Design-affinen Publikum besonders im Jubiläumsjahr da alles untergejubelt werden sollte, passt auf keine Kuhhaut (natürlich mit Bauhaus-Brandstempel drauf): künstlerisch wertvolle Schachspiele, Smartphone-Hüllen, Armbanduhren und Ohrstecker – wahlweise unter Verwendung von Bauhaus-Gebäudeschriftzug, Wagenfeld-Lampe, Schlemmer-Kopf oder Quadrat-Dreieck-Kreis-Logo.
Wer bisher schon unter einer latenten Bauhaus-Skepsis litt, bekommt hier bildlich den Overkill serviert. Und eine fundierte und gut lesbare Analyse dazu. Neben der Totaldemontage von Walter Gropius durch den Journalisten Bernd Polster ist dies die wichtigste Veröffentlichung der letzten Zeit für Bauhaus-Überdrüssige.
Text: Benedikt Hotze
Marke Bauhaus 1919-2019
Der Sieg der ikonischen Form über den Gebrauch
Philipp Oswalt
Scheidegger & Spiess, Zürich 2019
336 Seiten
ISBN 978-3-85881-620-7
38 Euro
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