Noch sind die Regale leer und warten auf Inhalte. Heute wurde am Standort Unter den Linden der Schlüssel für den neuen Lesesaal der Staatsbibliothek Berlin übergeben. Unter der künstlerischen Leitung von HG Merz Architekten – das Tragwerk für den Glaskubus hat das Stuttgarter Büro zusammen mit Werner Sobek geplant – wurden neben dem Allgemeinen Lesesaal der Rara-Lesesaal sowie die Tresor- und Freihandmagazine fertig gestellt. Nach zwölfjähriger Bauzeit ist damit der zweite Teil des ersten Bauabschnitts eingeweiht. Die Inbetriebnahme wird im März nächsten Jahres sein, die Eröffnung des Komplettumbaus der Staatsbibliothek mit samt der Sanierung des südlichen Gebäudeteils ist für 2016 vorgesehen.
Der Entwurf von HG Merz war 2000 als 1. Preis aus einem Wettbewerb hervorgegangen und setzt „dem wilhelminischen Prunkbau ein aufklärerisches Licht auf“ (siehe BauNetz- Meldung vom Februar 2008 zum Richtfest, vom April 2006 zur Grundsteinlegung und vom Mai 2005 zum Spatenstich).
Im kleineren der beiden neuen Lesesäle, dem Rara-Lesesaal, sind Altbau und Neubau miteinander verzahnt. Der zurückhaltend gestaltete Lesebereich mit seinen 48 Arbeitsplätzen ergänzt die neobarocken Elemente des Bestands vorbildlich; nicht zu vergessen die künstlerischen Wandinstallationen von Tobias Rehberger.
Zentrum der Bibliothek ist der als Glaskubus ausgeführte Allgemeine Lesesaal mit 36 Metern Höhe, 35 Metern Breite und 30 Metern Länge, dem seine räumliche und geistige Mitte zurückgeben wurde – kein Kuppellesesaal, wie er 1943 im Bombenhagel ausbrannte, sondern ein kubischer Baukörper mit viel Tageslicht.
Heute sind die hölzernen, edlen Bücherregale über drei Etagen gestapelt und geben dem Lesesaal einen mehr als passenden Rahmen. Dahinter liegende schmale Treppen führen die Besucher in den „Bücherhimmel“: Auf der obersten Ebene des Saals blickt man direkt in die verformten Glaselemente des aufgesetzten Kubus. Hier ist man ganz von dem Berliner Alltag abgekoppelt, kann konzentriert und mit viel Ruhe lesen und schwebt beim Studieren vielleicht auf einer Wolke in eine andere Epoche... oder genießt den Blick oben von der Galerie hinunter in den Lesesaal.
HG Merz hat alles richtig gemacht: Die Atmosphäre in dem Lesesaal ist erhaben, aber nicht erdrückend, der Raum mit einer Grundfläche von über 1.000 Quadratmetern ist groß, ohne dass man darin verloren geht. Die gelungene Inszenierung der Raumfolge, die klare Aufteilung im Grundriss sowie Anordnung und Proportionen der Treppen und vor allem die Materialwahl – von den geschmeidigen Handläufen, den samtweichen Betonwänden und der brillanten Lichtführung bis hin zu der angenehmen Akustik – lassen den Lesesaal zu einem besonderen Ort werden. Wenn erst die Bücher einsortiert sind, ist er vollkommen.
Diesen Samstag, am 15. Dezember 2012 von 11 bis 18 Uhr, lädt die Staatsbibliothek Berlin zum Tag der offenen Tür (Achtung: Eingang über die Dorotheenstraße 27).
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Fotograf | 18.12.2012 16:52 Uhr@friedse
"Hier fehlen Menschen, Unordnung, Bücher und Zeitschriften und Bewegung. Erst dann kann man sehen ob dem Architekten die Lösung der Aufgabe gelungen ist."
Unfug. Genaus DAS kann man auf keinem Foto sehen. wenn Sie echtes Leben er"leben" wollen, dann müssen Sie sich schon die Mühe machen und hingehen. Architekturfotos können ganz unterschiedliche Zwecke haben. Einer davon ist sicherlich, die "nackte" Architektur und die Arbeit des Planers zu dokumentieren. Das ist völlig legitim und hat künstlerisch auch seinen eigenen Reiz. Da stört eben unnötiges Beiwerk nur. Erkennbare Menschen als (zufällige) Staffage haben außerdem den Nachteil, dass ggfs. deren Rechte am eigenen Bild zu beachten sind, was durchaus auch die Verwertung beeinträchtigt. Und versuchen Sie mal ein Bild anständig zu komponieren, wenn Ihnen permanent hunderte von Leuten irgendwie durch das kunstvoll ausgeleuchtete Set laufen. Wer möchte schon Models und Komparsen bezahlen, die sich stundenlang zu Tableaus arrangieren lassen. Es geht hier schließlich um mehr als bloß ein bisschen Knipserei. Es gibt sehr viele gute Gründe, solche Bilder zu machen. Wer leben sehen will, sollte nicht in Architekturbildbänden danach suchen. Wenn ich Pommes-Schranke möchte, geh ich schließlich auch nicht ins El Bulli. Und gelungene Architektur bemisst sich bestimmt nicht ausschließlich nach Ihrem Gebrauchswert. Nach der Logik, hätte der (für uns nutzlose) Parthenon keine Qualität mehr, die wir erfahren könnten.