Von Stefan Rethfeld
Das Rathaus im westfälischen Greven entstand 1971-73 nach Plänen von Dieter Oesterlen (1911-94), einem der prägenden Architekten der Nachkriegsmoderne in Deutschland. Nun hat sich die Gemeinde entschieden, den brutalistischen Signalbau mit seinem kühn über dem Bürgersteig schwebenden Ratssaal unter Denkmalschutz zu stellen und zu sanieren. Ein glücklicher Zwischenstand in einer jahrelang geführten Debatte.
Ein modernes Rathaus sollte es werden: Bereits 1958 erkannte man die Notwendigkeit für den zentralen Neubau in der heute rund 38.000 Einwohner zählenden Gemeinde Greven an der Ems bei Münster. Doch erst 1968 fand ein öffentlicher Architekturwettbewerb statt, zu dem neben Dieter Oesterlen (Hannover) auch Kurt Peter Kremer (Bochum), Peter Poelzig (Duisburg), Roland Ostertag (Stuttgart) geladen wurden. Ausgeschrieben war ein offenes Gebäude, das in der Höhenstaffelung Rücksicht auf die St. Martinus-Kirche nimmt und ein gewisses Maß an Repräsentation in Form und Material aufweist.
Unter der damaligen Leitung von Egon Eiermann würdigte das Preisgericht schließlich den Entwurf von Oesterlen mit dem ersten Preis. Und die Stadt bekam nicht nur einen Bau, sondern ein gebautes Bekenntnis. Denn Osterlens lebenskluge Forderung, alt und neu als „gebundenen Kontrast“ zu verstehen und zu gestalten, kam auch hier zur Anwendung. Wie bereits bei seinen anderen Bauten – darunter der Niedersächsische Landtag und das Historische Museum in Hannover oder das Daniel-Pöppelmann-Haus in Herford – brachte Oesterlen die Architektur zum Sprechen. Geradezu geschwisterlich fügte er vier verschiedene Gebäudevolumen neben die benachbarte Martinuskirche in die Stadtsilhouette ein und erzeugte eine dynamische Gesamterscheinung, die sich insbesondere vom Fluss aus gesehen erschließt.
Die einzelnen Gebäudepartien gehen fließend ineinander über und werden durch die Fassadengestaltung – horizontale Sichtbeton-Brüstungselemente und dunkelgraue Leichtmetallfenster – zu einem homogenen Gebäude verbunden.
Sinnbildlich ragt der Ratssaal ins öffentliche Gemeindeleben. Aufgeständert schwebt er bei aufsteigendem Pultdach über dem Haupteingang. Dieser führt zum großen Atrium, der Hauptzone des viergeschossigen Mittelteils, in dem sämtliche publikumsintensive Ämter zu finden sind. Ein Oberlicht inszeniert die verschiedenen Treppen, Podeste und Besucherzonen, die auch für Veranstaltungen genutzt werden können. Zur Straße schließt sich ein weiterer dreigeschossiger Trakt mit repräsentativen Büros für den Verwaltungsvorstand an, rückwärtig erhebt sich als Kontrapunkt zur schwebenden Eingangskomposition ein sechsgeschossiger Büroturm.
Bauzeitliche Ausstattungen des Rathauses haben die Jahre glücklicherweise vielfach überlebt – Türen und Auskleidungen, Leuchten, Möbel und sogar Blumenvasen. Doch zahlreiche Details wurden in den letzten Jahren unbedarft verändert wie störende Edelstahlgeländer im Atrium: Sie sollten in diesem fließenden, seine Sichtbarkeit feiernden Raum architektonisch abgestimmter ausfallen. Durch eine Sanierung könnte das Haus daher nicht nur an heutige technische Anforderungen angepasst, sondern im Inneren wieder präzisiert werden.
Für die bevorstehende Eintragung leistete die LWL-Denkmalpflege Vorarbeit. Auch etliche Bürger haben sich in den letzten Jahren immer wieder engagiert. In Sachen Wertschätzung schneller als die Stadtverwaltung selbst reagierte der Heimatverein der Stadt: In seinem Logo taucht seit April 2019 nunmehr auch das Rathaus auf und soll „Dynamik, Frische und Modernität“ unterstreichen. Ein willkommenes Echo nach einem halben Jahrhundert. Das Rathaus Greven lag lange etwas im Schatten des Fachpublikums. Zu seinem 50. Geburtstag im Jahr 2023 könnte es wieder neu erstrahlen.
Auf Karte zeigen:
Google Maps
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
2
peter | 16.05.2019 08:44 Uhrsuper!
in der tat - sehr erfreulich! möge die öffentlichkeit ihren blick für gute architektur aller epochen schulen!