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20.05.2022
Großumbau am Markusplatz
David Chipperfield Architects in Venedig
Die Fassaden bleiben gleich, dahinter wird umgebaut: Dieses Prinzip wird an der Lagune seit Jahrhunderten perfektioniert. In den letzten Jahren erhielten nun die ikonische Procuratie Vecchie direkt am Markusplatz ein neues Innenleben von David Chipperfield Architects. Hier residiert nun eine Stiftung der Generali-Versicherung, die selbst den Markuslöwen im Signet trägt. Mehr Venedig geht eigentlich nicht.
Von Stephan Becker
So leer, wie auf dem Foto, das David Chipperfield Architects anlässlich ihrer jüngsten Fertigstellung in Venedig präsentieren, war die Stadt höchstens im Jahr eins der Pandemie. Inzwischen ist sie wieder sehr gut gefüllt. Nur das Chipperfield-Projekt direkt am Markusplatz hat sich offenbar noch nicht auf der touristischen Landkarte etabliert. Wer hierher kommt findet einen verlassenen Zugangshof, keine Schlange am Tresen und schließlich leere Raumfluchten in den Obergeschossen. Kein Wunder, waren doch die Procuratie Vecchie seit Jahrzehnten vor allem eine schöne Kulisse mit ein paar überteuerten Cafés, während das restliche Gebäude langsam verfiel. Für die Öffentlichkeit war der Komplex in seiner Geschichte ohnehin nur selten zugänglich, wenn man von einigen Privatclubs im 18. und 19. Jahrhundert absieht.
Dank des italienischen Versicherungskonzerns Generali wird sich dies nun ändern. Das Unternehmen hatte große Teile der Alten Prokuratien in einem Umfang von rund 10.000 Quadratmetern bereits 2017 erworben und seit 2019 den Umbau betrieben. Mit dem Gebäude verbindet den Konzern eine lange Geschichte, denn kurz nach dessen Gründung in Triest entstand hier eine große Niederlassung, die erst in den 1980er Jahren aufs Festland verlegt wurde. Seit Anfang April sind nun die neuen Räume der unternehmenseigenen Stiftung The Human Safety Net im dritten Obergeschoss geöffnet. Im zweiten Stock gibt es derzeit eine große Retrospektive der Künstlerin Louise Nevelson zu sehen, die 1962 die USA bei der Biennale vertrat.
In ihrer heutigen Form wurden die Alten Prokuratien in mehreren Phasen bis Anfang des 16. Jahrhunderts unter anderem von Mauro Codussi, Bartolomeo Bon und Jacopo Sansovino gestaltet. Seit 2009 arbeitet die Architektin Gretchen Alexander Harnischfeger an der Sanierung der Fassade. Das Projekt ist Teil eines größeren Vorhabens von Generali, das auch die gegenüberliegende Nationalbibliothek Marciana samt dem Giardini Reali umfasst.
Das Büro von David Chipperfield war angesichts seiner vielen hochwertigen Projekte im Bestand geradezu prädestiniert, das ikonische Gebäude neu zu gestalten. Im Gegensatz zur Fondaco dei Tedeschi, wo der Avantgarde-Geist von OMA auf eine widerständige Denkmalschutzbehörde traf, dürfte das Prokuratien-Projekt in gutem Einverständnis aller Beteiligten verlaufen sein. Die Interventionen der Architekt*innen – verantwortlich war das Mailänder Büro – sind auf den ersten Blick auch kaum zu bemerken, so zurückhaltend wurde hier operiert. Man betritt den Komplex über einen kleinen Hof, von wo es per Treppe oder Aufzug in die oberen Geschosse geht. Ähnliche zeitgenössische Erschließungskerne wurden auch an anderen Stellen in das langgezogene Volumen integriert.
Im Inneren sind einerseits aufwändig restaurierte historische Räume zu entdecken. Anderseits sind die Modifikationen aber doch umfangreicher, als man zunächst dachte. Die Architekt*innen arbeiteten vor allem im Bereich der Erschließung mit einer Art cremigen Abstraktion. Die eckigen Einbauten erhielten handwerklich aufwändige Kalkspachtel-Oberflächen, während für die hellen Böden und Treppen mit Terrazzo der vielleicht venezianischste aller Baustoffe zum Einsatz kommt – neben weiteren historischen Techniken wie Cocciopesto oder Pastellone. Das ist dem Bestand zwar angemessen, wirkt hier und da aber auch etwas gefällig.
Aufregender wird es im dritten Obergeschoss, das durch den Ausbau des Daches entstand. Die groben, einst ausschließlich konstruktiv gedachten Backsteinwände sind hier erhalten geblieben. Dabei bestehende Enfilade wurde durch die monumentale Ausformulierung der Türwandungen in grauem Stein zusätzlich betont. Das Ergebnis ist eine eigenartige Mischung aus Carlo Scarpa und Rafael Moneo, die aber in jedem Fall eine gewisse Wirkung entfaltet. Neben Ausstellungsräumen der Stiftung gibt es dort auch ein Café, ein Auditorium sowie eine etwas zurückgesetzte Dachterrasse. Auch Arbeitsplätze für externe Projektpartner*innen werden hier bereitgestellt. Repräsentative Büros für die Versicherung selbst gibt es in den unteren Geschossen.
Mit den Procuratie Vecchie verstetigen sowohl der Generali-Konzern als auch David Chipperfield Architects ihre engen Beziehungen zur Lagunenstadt. Das Umbauprojekt ist dabei ein durch und durch venezianisches Projekt, weil sich hier Zeitschichten fast schon fugenlos überlagern und ergänzen. Vorbild könnten hier jene alten Palazzi gewesen sein, die über Jahrhunderte hinweg immer wieder substanzielle und oft auch moderne – Stichwort Scarpa – Umgestaltungen erfuhren. David Chipperfield Architects bringen dabei ihre ganz eigenen formalen Mittel zur Geltung.
Fotos: Alessandra Chemollo, Richard Davies, Martino Lombezzi, Alberto Parise
Von Stephan Becker
So leer, wie auf dem Foto, das David Chipperfield Architects anlässlich ihrer jüngsten Fertigstellung in Venedig präsentieren, war die Stadt höchstens im Jahr eins der Pandemie. Inzwischen ist sie wieder sehr gut gefüllt. Nur das Chipperfield-Projekt direkt am Markusplatz hat sich offenbar noch nicht auf der touristischen Landkarte etabliert. Wer hierher kommt findet einen verlassenen Zugangshof, keine Schlange am Tresen und schließlich leere Raumfluchten in den Obergeschossen. Kein Wunder, waren doch die Procuratie Vecchie seit Jahrzehnten vor allem eine schöne Kulisse mit ein paar überteuerten Cafés, während das restliche Gebäude langsam verfiel. Für die Öffentlichkeit war der Komplex in seiner Geschichte ohnehin nur selten zugänglich, wenn man von einigen Privatclubs im 18. und 19. Jahrhundert absieht.
Dank des italienischen Versicherungskonzerns Generali wird sich dies nun ändern. Das Unternehmen hatte große Teile der Alten Prokuratien in einem Umfang von rund 10.000 Quadratmetern bereits 2017 erworben und seit 2019 den Umbau betrieben. Mit dem Gebäude verbindet den Konzern eine lange Geschichte, denn kurz nach dessen Gründung in Triest entstand hier eine große Niederlassung, die erst in den 1980er Jahren aufs Festland verlegt wurde. Seit Anfang April sind nun die neuen Räume der unternehmenseigenen Stiftung The Human Safety Net im dritten Obergeschoss geöffnet. Im zweiten Stock gibt es derzeit eine große Retrospektive der Künstlerin Louise Nevelson zu sehen, die 1962 die USA bei der Biennale vertrat.
In ihrer heutigen Form wurden die Alten Prokuratien in mehreren Phasen bis Anfang des 16. Jahrhunderts unter anderem von Mauro Codussi, Bartolomeo Bon und Jacopo Sansovino gestaltet. Seit 2009 arbeitet die Architektin Gretchen Alexander Harnischfeger an der Sanierung der Fassade. Das Projekt ist Teil eines größeren Vorhabens von Generali, das auch die gegenüberliegende Nationalbibliothek Marciana samt dem Giardini Reali umfasst.
Das Büro von David Chipperfield war angesichts seiner vielen hochwertigen Projekte im Bestand geradezu prädestiniert, das ikonische Gebäude neu zu gestalten. Im Gegensatz zur Fondaco dei Tedeschi, wo der Avantgarde-Geist von OMA auf eine widerständige Denkmalschutzbehörde traf, dürfte das Prokuratien-Projekt in gutem Einverständnis aller Beteiligten verlaufen sein. Die Interventionen der Architekt*innen – verantwortlich war das Mailänder Büro – sind auf den ersten Blick auch kaum zu bemerken, so zurückhaltend wurde hier operiert. Man betritt den Komplex über einen kleinen Hof, von wo es per Treppe oder Aufzug in die oberen Geschosse geht. Ähnliche zeitgenössische Erschließungskerne wurden auch an anderen Stellen in das langgezogene Volumen integriert.
Im Inneren sind einerseits aufwändig restaurierte historische Räume zu entdecken. Anderseits sind die Modifikationen aber doch umfangreicher, als man zunächst dachte. Die Architekt*innen arbeiteten vor allem im Bereich der Erschließung mit einer Art cremigen Abstraktion. Die eckigen Einbauten erhielten handwerklich aufwändige Kalkspachtel-Oberflächen, während für die hellen Böden und Treppen mit Terrazzo der vielleicht venezianischste aller Baustoffe zum Einsatz kommt – neben weiteren historischen Techniken wie Cocciopesto oder Pastellone. Das ist dem Bestand zwar angemessen, wirkt hier und da aber auch etwas gefällig.
Aufregender wird es im dritten Obergeschoss, das durch den Ausbau des Daches entstand. Die groben, einst ausschließlich konstruktiv gedachten Backsteinwände sind hier erhalten geblieben. Dabei bestehende Enfilade wurde durch die monumentale Ausformulierung der Türwandungen in grauem Stein zusätzlich betont. Das Ergebnis ist eine eigenartige Mischung aus Carlo Scarpa und Rafael Moneo, die aber in jedem Fall eine gewisse Wirkung entfaltet. Neben Ausstellungsräumen der Stiftung gibt es dort auch ein Café, ein Auditorium sowie eine etwas zurückgesetzte Dachterrasse. Auch Arbeitsplätze für externe Projektpartner*innen werden hier bereitgestellt. Repräsentative Büros für die Versicherung selbst gibt es in den unteren Geschossen.
Mit den Procuratie Vecchie verstetigen sowohl der Generali-Konzern als auch David Chipperfield Architects ihre engen Beziehungen zur Lagunenstadt. Das Umbauprojekt ist dabei ein durch und durch venezianisches Projekt, weil sich hier Zeitschichten fast schon fugenlos überlagern und ergänzen. Vorbild könnten hier jene alten Palazzi gewesen sein, die über Jahrhunderte hinweg immer wieder substanzielle und oft auch moderne – Stichwort Scarpa – Umgestaltungen erfuhren. David Chipperfield Architects bringen dabei ihre ganz eigenen formalen Mittel zur Geltung.
Fotos: Alessandra Chemollo, Richard Davies, Martino Lombezzi, Alberto Parise
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