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16.02.2023

Erweiterung des Archäologischen Nationalmuseums

David Chipperfield Architects gewinnen in Athen


Das Archäologisches Nationalmuseum in Athen besitzt die wichtigste Sammlung von Objekten der griechischen Antike. Das klassizistische Gebäude von Ludwig Lange und Ernst Ziller im Stadtteil Exarcheia soll nun umfangreich erweitert werden. Zum Zuge kommen könnte das Berliner Büro von David Chipperfield Architects, wie schon im Januar hier und da zu hören war. Gestern wurde das Gewinnerprojekt eines hochkarätigen internationalen Wettbewerbs offiziell in Athen vorgestellt.

Von Nikolaus Bernau


Das gibt es nicht oft in der Architekturwelt: Einen staatlichen Auftraggeber, der sich kategorisch weigert, über Geld zu sprechen, der sein Projekt für ein neues Nationalmuseum dezidiert unter Ausschluss der nationalen Architektenschaft planen lässt, der es dafür mit einer grundsätzlichen Reform eben dieser Institution verbindet und dann bei der Vorstellung des siegreichen Projekts seiner Ehefrau für ihre „stille“ Mitarbeit dankt. Kyriakos Mitsotakis, der griechische Ministerpräsident, tat all dies bei der Vorstellung des Entwurfs von David Chipperfield Architects für den Um- und Ausbau des ehrwürdigen Athener Archäologischen Nationalmuseums. Es ist Vor-Wahlkampf, da muss Energie bewiesen werden – und dass er damit rechnet, diese Wahl zu gewinnen, zeigt, dass seine Kultusministerin direkt ankündigte, am Ende der nächsten Legislaturperiode werde das Museum dann eröffnet.

Gemach, möchte man zwischen den einzigartigen antiken Skulpturen des Museums ausrufen. Chipperfields Projekt ist nämlich derzeit eher eine Ablauf-, Raum- und  Konstruktionsskizze, die, wie der Architekt im Gespräch selbst konstatiert, noch viel Überzeugungsarbeit und Detaillierung bedarf, ja selbst in grundlegenden Annahmen noch überarbeitet werden kann. Ihm und seinen für das Projekt verantwortlichen Kollegen Alexander Schwarz und Martin Reichert samt umfangreichem Team sowie dem griechischen Kontaktarchitekten Alexandros N. Tombazis, dem Ingenieurbüro wh-p, Werner Sobek und Atelier Brückner sowie dem Garten- und Landschaftsplaner Wirtz International ist nur zu bewusst, dass sie es hier mit dem Nationalmythos an und für sich zu tun haben.

Seit der Gründung Griechenlands 1832 wurde über dieses Nationalmuseum für die Antike debattiert, das höchst ideologisch deren Wiederauferstehung im modernen Staat belegen sollte. 1866 bis 1874 entstand nach den Plänen von Ludwig Lange und Ernst Ziller der erste Hauptbau, der angesichts von aus allen Landesteilen eintreffenden Funden bereits seit den 1880ern erweitert werden musste – zuletzt 1935 um einen breiten, rückwärtigen Flügel. Nach der dramatischen Rettung der Sammlung vor dem Zugriff der deutschen und italienischen Besatzer im Zweiten Weltkrieg erhielt dieses Museum in den 1950ern eine weltweit debattierte Neuinszenierung in klaren, lichtdurchströmten Sälen mit dem locker symmetrischen Arrangement der Skulpturen vor geradezu kanonisch gewordenen hellblaugrauen Wandanstrichen.

Chipperfield Architects wollen nun den breit zur Straße des 18. Oktober auslaufenden Garten des Museums regelrecht anheben. Unter dem neuen Park – die alten Bäume sollen ausgegraben und später wieder eingepflanzt werden! – kann sich die Erweiterung des Museums um einen ergänzten Vorhof entfalten. Dessen Zugang ist etwas abgesenkt – ein Motiv der Bündelung der Besucher, das man etwa vom Centre Pompidou in Paris kennt. Aus dem Hof führt eine breite Treppe hoch in den neuen Garten, genau in der Achse der Haupttreppe des alten Museums – ein durchaus pathetischer Prozessionsweg geradezu, der aber in die Irre führt. Tatsächlich sollen die meisten Besucher*innen künftig durch das Sockelgeschoss in das Museum geleitet werden. Unter diesem wird es eine weitere Ausstellungsebene, vor allem aber eine Tiefgarage geben, ohne die in Athen offenbar kein Neubauprojekt mehr denkbar ist.

In den Innenansichten und Grundrissen erinnern die massigen, aus Lehm geschichteten Pfeiler deutlich an Bauten von Peter Zumthor wie die Therme in Vals oder die archaistische Bruder-Klaus-Feldkapelle am Rand der Eifel. Überhaupt soll monumentale Kargheit herrschen – so sehr auch die Renderings, vor allem die Schnittzeichnungen mit ihren kraftvollen Farben, den vielen Zypressen und wuchernden Büschen an Schinkels romantische Entwürfe für den Umbau der Akropolis zum Königspalast erinnern.

Da stellen sich denn doch Fragen: Warum wird wieder einmal in die Tiefe expandiert, obwohl damit über die Besucherführung hinaus erhebliche Klima- und Konstruktionsprobleme entstehen? Warum soll hier jenseits der Lehmpfeiler denn doch vor allem mit Beton gebaut werden? Welche Rolle spielt die Geschichte des Museums insgesamt – Alexander Schwarz schwärmte zwar vom Ziller-Bau, zeigte auch eine Schnittzeichnung, in der die einstigen dunkelroten Wände wieder zu sehen sind. Aber was ist mit der Rolle des Nationalmuseums in der Moderne? Wie wird sich dieser Neubau sozial und politisch auf die Umgebung auswirken, die als eine der lebendigsten, aber auch spannungsreichsten der Stadt gilt?

Und kann das Museum, das in den kommenden Jahren aus der Zuständigkeit des Kultusministeriums herausgelöst werden soll, sich davor schützen, zum rein touristischen Kommerzprodukt zu werden? Kann es einen solchen riesigen Umbau derzeit überhaupt bewältigen, ohne dass Abstriche an der architektonischen Qualität gemacht werden? Braucht es diesen Neubau nicht überhaupt nur deswegen, weil sich die Politik nicht dazu durchringen kann, wenigstens einen Teil der direkt benachbarten, seit Jahren weitgehend leerstehenden Gebäude der Technischen Hochschule für Verwaltungen, Depots, Werkstätten des Museums zu nutzen – und damit Räume im Altbau für Ausstellungen frei zu machen?

Immerhin – unter den sonstigen Finalisten des Wettbewerbs – Diller & Scofidio / Renfro, Herzog & de Meuron, SANAA, OMA, Kengo Kuma, David Adjaye, Jean Nouvel, RCR Arquitectes, ihre Arbeiten wurden noch nicht veröffentlicht – haben Chipperfield Architects sicherlich die größte Erfahrung und Sensibilität im Umgang mit historischen Museumsbauten bewiesen. Auch im Umgang mit komplizierten Machthierarchien und sich widersprechenden Ansprüchen kennen sie sich aus. Schon das macht zuversichtlich. Aber dass dieses von einer sicherlich im Ministerium handverlesenen Jury unter der Leitung von Andreas Kourkoulas ausgewählte, sehr teure, der Planung nach vor allem von Sponsoren zu finanzierende Projekt bis zu den übernächsten Wahlen fertig gestellt wird, das anzunehmen, wäre mindestens kühn.


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