Noch gut sechs Wochen läuft die Architekturbiennale in Venedig. Zur Eröffnung im Mai wurde viel über den Fokus auf Afrika und die Dominanz künstlerischer Projekte gesprochen. Ein anderes Thema blieb etwas unterbelichtet: Wasser. Dabei zieht es sich wie kein zweites durch viele Länderpavillons dieser Biennale.
Von Gregor Harbusch
Nach dem Trubel der Eröffnungswoche und der sommerlichen Hitze bietet sich der Herbst durchaus an, um die Biennale stressfrei zu besuchen. Herbst in Venedig bedeutet traditionell aber auch eine erhöhte Gefahr, überflutete Plätze und Gassen vorzufinden. Acqua alta nennt sich die venezianische Hochwassersaison, die von Oktober bis April dauert und bei besonders starker Flut und niedrigem Luftdruck das Wasser in die Lagune drückt.
Noch 2019 führte ein massives Hochwasser zu weitreichenden Verwüstungen in der Stadt. Doch seit drei Jahren sorgt das Sturmflutsperrwerk MO.S.E. (Modulo Sperimentale Elettromeccanico) dafür, dass Venedig von schweren Überschwemmungen verschont bleibt. Das sechs Milliarden teure Infrastrukturprojekt, an dem nach jahrzehntelangen Vorarbeiten seit 2003 offiziell gebaut wurde, kommt nur bei schwerem Hochwasser zum Einsatz. Denn das Hoch- und wieder Zurückfahren des Sperrwerks kostet jeweils 300.000 Euro. Vor allem aber kommt durch das Absperren der Lagune der Betrieb auf dem großen Industrie- und Handelshafen in Mestre weitgehend zum Erliegen. Ab welchen Fluthöhen MO.S.E. hochgefahren wird, ist ein Streitthema zwischen der Wirtschaft und der Bevölkerung in der Lagunenstadt.
Das Sperrwerk in Venedig zeigt beispielhaft, wie mit unglaublich viel Ressourcen und massivem Eingriff in die Natur, diese ein gutes Stück weit gebändigt werden kann. Acqua alta hat seinen Schrecken verloren. Eher hat man es nun mit einer gewissen Venedig-Folklore zu tun: etwas Wasser schwappt durch die Stadt, über den Markusplatz führen temporäre Stege und alle Menschen sind in Gummistiefeln unterwegs.
Herausforderungen der Regulierbarkeit
An vielen Orten der Welt ist die Sache mit dem Wasser weitaus herausfordernder. Denn nicht immer sind die gewaltigen Ressourcen da, um ein Zuviel oder Zuwenig an Wasser technisch korrigieren zu können. Freilich betreibt der Mensch seit Jahrhunderten Wasserbau im großen Stil, legt Land trocken, leitet Wasserströme um oder gewinnt Energie. Nur ein Beispiel aus Deutschland: Rund die Hälfte des Wassers der Spree bei Cottbus ist Grundwasser aus der Lausitz, das im Zuge des Braunkohletagebaus seit über einhundert Jahren abgepumpt und in den Fluss geleitet wird. Das Ende des Tagebaus bis 2038 und die anstehende Renaturierung schaffen hier gewaltige Herausforderungen.
Durch die Extremwettereignisse infolge des menschengemachten Klimawandels hat der Umgang mit Wasser eine ganz neue Qualität bekommen. Überflutungen und Trockenheit sind unberechenbarer geworden und fallen auch in gemäßigten Breitengraden immer öfter und immer heftiger aus. Hinzu kommen Wasserverschmutzung und Trinkwassermangel oder Zielkonflikte im Zuge der Wasserkraft. Um grüne Energie zu gewinnen fordern riesige Stauseen ihren ökologischen Tribut.
Es gibt also einiges zu diskutieren beim Thema Wasser. Wo würde es besser passen als auf der Biennale in Venedig? Wir haben allein neun Länderpavillons auf der diesjährigen Ausstellung gezählt, die verschiedene Aspekte des Themas in das Zentrum ihrer Präsentation stellen.
Von schwitzenden Häusern zur DIY-Dachbegrünung
Um Maßnahmen gegen Wassermangel geht es im Bahrainischen und Portugiesischen Pavillon. Bahrain setzt auf Pragmatismus und schlägt vor, das Kondenswasser der allgegenwärtigen Klimaanlagen zu nutzen, um die Felder des Wüstenstaates zu bewässern. „Sweating Assets“ denkt Architektur, Haustechnik und Landwirtschaft zusammen, setzt auf neue Infrastrukturen, um jenseits programmatischer Neuerfindungen am Vorhandenen anzusetzen.
Portugals Beitrag „Fertile Futures“ zeigt sich poetisch und inszeniert das Thema eher künstlerisch und visionär. Tatsächlich geht es aber um sieben konkrete Orte, um deren Hydrogeographie und die komplexen Auswirkungen der Wasserwirtschaft. Mit den präsentierten, interdisziplinären Lösungsansätze möchten die Kurator*innen dazu anregen, über zukünftige Formen eines fairen Haushaltens mit Wasser nachzudenken.
Während Bahrain technische Systeme weiterspinnen will, setzt der Niederländische Pavillon auf Low Tech und DIY. Eine Hälfte des Beitrags „Plumbing the System“ in den Giardini wurde als kleine Werkstatt eingerichtet, in der an einem potentiellen Dachbegrünungssystem für den eigenen Pavillon gearbeitet wird, um das Regenwasser zu nutzen. Nicht zuletzt stellt sich hier die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel, wenn beispielsweise eine Konstruktion aus handelsüblichen Baustoffen, eine aus natürlichen Materialien und eine dritte aus alten Plastikkisten und anderen, ausrangierten Materialien verglichen werden.
Sanfte Resilienz
Maßnahmen gegen den steigenden Meeresspiegel zeigt der Dänische Pavillon unter dem Titel „Coastal Imaginaries“. Vor zwei Jahren hatte Dänemark mit einer sinnlich-immersiven Wasserinstallation beeindruckt. Dieses Jahr gibt es zwar ein theatral inszeniertes Diorama, im Großen und Ganzen setzt der Pavillon jedoch auf Analysen und Kartierungen. Das Ziel sind keine massiven Baumaßnahmen. Vielmehr erhoffen sich die Kurator*innen, mithilfe ökologisch sensibler Prinzipien, resiliente Küstenräume entwickeln zu können.
Analysen und Kartierungen gibt es auch im Ägyptischen Pavillon. Unter dem Namen „NiLab - The Nile as Laboratory“ präsentiert ein breit aufgestelltes Netzwerk aus verschiedenen Universitäten und anderen Institutionen Projekte im Kontext der Lebensader des nordafrikanischen Landes.
Wasserkräfte in der Landschaft
Den Ambivalenzen der Wasserkraft und -wirtschaft widmen sich der griechische und der georgische Pavillon. Griechenland blickt mit „Bodies of Water“ auf die Geschichte der Wasserkraft und den damit zusammenhängenden Bewässerungssystemen seit den 1950er Jahren zurück. Neben Modellen sind es vor allem die sehenswerten historischen Fotografien, die ein ganz eigenes Bild jenseits gängiger Klischees zeichnen, indem sie die massiven Transformationen der Landschaft durch die Verteilung von Wasser im großen Stil nachvollziehbar machen.
Konkreter und dezidiert kritisch geht es im Georgischen Pavillon zu. Der Titel „January February March“ bezieht sich auf den jährlichen Niedrigstand des Zhinvali-Reservoirs, wenn die ruinösen Reste der Kirche des einst hier gefluteten Dorfes sichtbar werden. Vor dem Hintergrund der Energiewende wird das verfallene Gotteshaus als Menetekel lesbar für die ökologischen Zielkonflikte, die nicht nur Georgien bevorstehen werden. Passend dazu zeigt sich die räumliche Intervention im Pavillon als düstere Konstruktion aus schwarzem Schlick des Reservoirs.
Kulturelle Dimensionen
Auf ganz unterschiedliche Weise gehen die Philippinen und Argentinien den kulturellen Dimensionen des Wassers nach. Im Philippinischen Pavillon „Tripa de Gallina: Guts of Estuary“ wird Wasser metaphorisch gedeutet. Der Beitrag dreht sich um Flussmündungen, an denen sich Süß- und Salzwasser vermischen. Es geht um die Nachwirkungen der Pandemie, Schlamm, die Unmöglichkeit des Gesprächs und ein Kippen der Ökologie.
Geradezu als Gegenbild hierzu kann der Argentinische Pavillon gelesen werden. Der Beitrag „El Futuro del Agua“ setzt in visueller Hinsicht auf die Sinnlichkeit des Wassers in seinen verschiedenen Zuständen und (räumlichen) Zusammenhängen – vom Nebel bis zum Pool. Vor diesem Hintergrund werden Fragen gestellt, die gesellschaftliche und architektonische Aspekte zusammen denken. Im Kontext dieser Biennale zeigt sich der Beitrag geradezu sanft und versöhnlich – und wird deshalb auch jenen Besucher*innen gefallen, denen die Architektur dieses Jahr vielleicht ansonsten zu kurz gekommen ist.
Zum Thema:
Unsere gesamte Berichterstattung zur Biennale in Venedig inklusive Baunetzwoche#621 findet man kompakt auf der Sonderseite. Die Besprechnung des unbedingt sehenswerten, deutschen Beitrags „Open for Maintenance“ – der mit einer benutzbaren Trockentoilette einen handfesten Beitrag zum Thema Wassersparen bietet – ist hier zu finden.
Mehr zum Besuch auf der Webseite der Biennale: labiennale.org