Wie lange mögen die drei Herausgeber dieses Buchs, Klaus Aschenbach, Jürgen Beyer und Jürgen Seifert, wohl über den Untertitel gestritten haben? Stadtbaustein der Ostmoderne? Oder doch lieber: Stadtbaustein der Postmoderne? Oder noch besser: Stadtbaustein der Postmoderne in der DDR? Hinten auf dem Buch steht es dann mit der sich aufdrängen Klammersetzung, dass in diesem Buch eben auch die Frage „nach einer spezifischen (p)ostmodernen Sprache und diskursiven Architekturpraxis der DDR“ eine Rolle spielt. Sagen wir es so: Falls es eine Postmoderne in der DDR gegeben hat, dann müsste das Schillermuseum in Weimar darin jedenfalls – ebenso wie der skandalös ruinierte Bowlingtreff Leipzig übrigens – eine Hauptrolle spielen. Zunächst aber zu den Fakten.
Dem kleinen Verlag M Books aus Weimar sind schon ein paar schöne Bücher gelungen, aber Das Schillermuseum in Weimar ist rundherum herausragend. In wunderbarer Ausführlichkeit geht es der gesamten Ideen- und Architekturgeschichte dieses Gebäudes auf den Grund, das nicht zu seiner Eröffnung 1988 für Furore sorgte, sondern lange davor. Die gesamte Diskussion dieses Anbaus an Schillers historisches Wohnhaus hatte im Architekturdiskurs der DDR polarisiert. Und so lässt sich heute umgekehrt einiges über die nationalen und internationalen Architektur-Debatten lernen, vor allem aber darüber, wie Architektur eigentlich in die Welt kommt.
Das Buch beginnt mit der Geschichte von Schillers Wohnhaus ab 1777, das schon im 19. Jahrhundert zur Gedenk- und schließlich zur nationalen Erinnerungsstätte wurde, um zwischen 1985 und 1988 – also in den letzten Jahren der DDR – schließlich ungewöhnlich aufwändig saniert zu werden. Der Essay von Volker Wahl mag stellenweise etwas langatmig sein. Aber er bildet eine essenzielle Grundlage, um die folgenden Nacherzählungen der komplexen Diskussionen um den Museumsneubau hinter dem Wohnhaus nachzuvollziehen. Der Literaturwissenschaftler Lothar Ehrlich führt in die Ur- und Frühgeschichte des Neubaus, dessen erste Ursprünge er in einer Verordnung des Ministerrates der DDR von 1953 entdeckt und erzählt von dort die politischen, architektonischen, museumstheoretischen und literaturwissenschaftlichen Diskussionen bis zur Eröffnung 1988 – Ehrlich hatte den Bau ab 1986 als Mitarbeiter des Bauherren, der „Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar“ (NFG), und später als deren Vizedirektor eine ganze Weile begleitet.
Erst dann kommen wir zum Architekturwettbewerb 1981, der hier erfreulich umfangreich dokumentiert ist. So wird sichtbar, wie alle Spielarten einer späten DDR-Moderne zwischen Dresden, Weimar und Ost-Berlin miteinander wetteiferten und warum der siegreiche Entwurf des VEB Stadtbau Weimar letztlich kaum anders als heftig umstritten sein konnte. Und zum Glück gehen die Herausgeber noch einen Schritt weiter und lassen es nicht mit der Fertigstellung enden, sondern beleuchten in zwei ausführlichen Essays die weitere Planungs- und Diskursgeschichte, die in einer landesweiten Debatte zu erheblichen Überarbeitungen führten, woraus „am Ende eine andere Architektur“ entstand.
Wolfgang Kil hat in seiner Rezension für die Bauwelt darauf hingewiesen, dass sich gerade in diesem „kulturell wie zivilgesellschaftlich höchst aufschlussreichen Prozess“ „das reformbereite intellektuelle Klima in der späten DDR“ erschließt – und das in der endgültigen Form des Schillermuseums somit noch viele weitere Bedeutungsschichten schlummern als nur die seiner reinen, baulichen Hülle.
Die große Leistung dieses Buchs ist es, all diese Geschichten in einer atemberaubenden Tiefenschärfe und Detailgenauigkeit zu erzählen, ohne dass es langweilig oder allzu wissenschaftlich wird. Im Gegenteil liest sich das Buch eher wie ein Krimi und weist dabei mit leichter Hand immer wieder auf noch sehr viel mehr Abzweigungen – etwa zur Schillerrezeption in der DDR oder zu den kommunistischen Ästhetiktheorien eines Lothar Kühne, die im westlich geprägten Diskurs seit der Wende völlig verloren gegangen sind –, die es auch noch zu beschreiten gäbe. Schade nur, dass Wolfgang Kil, der mit seiner Wettbewerbskritik 1982 einiges zur damaligen Diskussion beitrug, nicht selbst für dieses Buch geschrieben hat. Allerdings wimmelt es bei den Autoren nur so vor lauter Projektbeteiligten, von Klaus Aschenbach über Lothar Ehrlich bis zum Jurymitglied Lothar Seifert – und alleine der Essay von Simone Hain zur Planungs- und Diskursgeschichte 1967-1990 ist hier das volle Eintrittsgeld wert. „Der realisierte Bau ist ganz und gar Ereignis“, schlussfolgert sie am Ende. Dasselbe darf für dieses Buch gelten.
Text: Florian Heilmeyer
Das Schillermuseum in Weimar. Ein Stadtbaustein der Ostmoderne
Klaus Aschenbach, Jürgen Beyer, Jürgen Seifert (Hg.)
256 Seiten
M Books, Weimar 2019
ISBN 978-3-944425-09-2
29 Euro
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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Simone Hain | 16.11.2019 19:23 UhrWas war hier das Thema?
Kurz gesagt, es ging um Aufgabe des Autonomieanspruches fuer die Architektur. Um Verzicht auf die Autorenschaft und auf das Letzte Wort am Platz.
Architektur wird "herbei gebabbelt ", kontrovers programmiert und multibel kodiert und - im besten Fall - sozial vollständig einverleibt. "Architecture for us" statt "architecture by us". Die chemische Hochzeit zwischen Form und Funktion. Lange nichts Besseres gehabt. Das nervöse Post-, Ost-, Moderne-Geblinker war ein dürftiger editorischer Etikettierungsversuch, der sich mit dem Text wohl erledigt hat. Es geht nicht um Stilfragen, sondern um ein besonderes Haus: Dialogfähig, friedfertig, und endlich auch freundlich gegen Schiller, den kaputten, zerbrochenen, seelisch gestoerten Seelengefaehrten der "friedlichen Revolution". Bitte kein Pathos!