Inzwischen hat es sich ja herumgesprochen, dass – wie viele Züricher Architekten – auch die beiden Generalkommissare des nächsten deutschen Biennalebeitrags, Alex Lehnerer und Savvas Ciriacidis, ursprünglich aus dem großen Kanton nördlich des Rheins stammen. Inhaltlich ist bisher nur bekannt, dass der Fokus wohl überwiegend auf der bundesdeutschen Nachkriegsmoderne liegen wird.
Von Alex Lehnerer gibt es dafür einige Publikationen, die zumindest Hinweise auf die Arbeitsweise des Duos geben. Studiert hatte Lehnerer an der TU Berlin, wo er dem konzeptionell orientierten Umfeld von Kees Christiaanse angehörte, der damals dort Städtebau lehrte. 2009 erschien dann Lehnerers Buch über die „Grand Urban Rules“, das seither in so manchem Büro oder Lehrstuhl zum Standard gehört.
Systematische Analyse und kulturelle Interpretation, diese Elemente prägen auch das von Lehnerer herausgegebene Buch „The Western Town“, dessen Thema allerdings deutlich entspannter ist und das kürzlich einen DAM Book Award erhielt. Hier geht es um die legendären Städte des wilden Westens, die allerdings weniger in ihrer tatsächlichen Gestalt, sondern vor allem hinsichtlich ihrer Repräsentation im Film untersucht werden. Gerade weil sich aber diese Städte im Film auf wenige, für die Erzählung wesentliche Elemente beschränken, können so besonders präzise Rückschlüsse auf das Verhältnis von Architektur, Stadt und Leben gezogen werden.
Das Ergebnis ist eine Art urbanistisches Minimalprogramm, das seltsamerweise gleichermaßen an die Archetypen von Aldo Rossi und an strukturalistische Analysen der siebziger Jahre erinnert, allerdings mit einem besseren Plot. Denn das verbindende Element der Filme wie der Städte ist die Handlung und ihre Protagonisten – der einsame Fremde zum Beispiel, der kurz vor High Noon in der Stadt auftaucht. Auf ihn projizieren die Bewohner gleichermaßen ihre Ängste und Hoffnungen, wodurch dieser immer wieder die üblichen Formen des städtischen Lebens in neue Bahnen lenkt. Eine Fähigkeit, die laut der Autoren damals so wichtig ist wie heute, was den Fremden in eine lange Reihe von idealtypischen Stadtnutzern vom Bürger bis zum Konsumenten stellt.
Ihre Analyse entwickeln die Autoren auf mehreren Ebenen. Ausführliche Texte werden ergänzt durch detailreiche Pläne der wichtigsten Western Towns und der sie prägenden Elemente, von der Hauptstraße über den Schaukelstuhl bis zum Sarg. Kenntnisreiche Bezüge zu den Filmen prägen dabei die Argumentation, wobei es kein ganz unwichtiger Aspekt zu sein scheint, dass nicht wenige dieser Western in Europa entstanden sind. So regt Robert Somol in seiner Einführung an, „The Western Town“ auch als eine europäische Aneignung von amerikanischen städtebaulichen Idealen zu verstehen: eine einfache und strukturlose Stadt, die aber zugleich vielseitig und immer wieder neu zu interpretieren ist.
Zwei Aspekte gefallen besonders an diesem Buch. Zum einen, dass die Autoren ganz offensichtlich viel Freude am Thema hatten und sich das Resultat so durch spielerisch-fundierte Leichtigkeit auszeichnet. Zum anderen aber auch, dass das Buch nicht beansprucht, alle städtebaulichen Probleme der Gegenwart zu lösen, sondern es einfach nur Inspirationsquelle sein darf. Im Hinblick auf den Biennale-Beitrag von Alex Lehnerer und Savvas Ciriacidis sind das äußerst vielversprechende Qualitäten, und man kann hoffen, dass sie sich nicht allzu sehr davon beindrucken lassen, jetzt für die offizielle deutsche Moderne-Auseinandersetzung im Rahmen der Koolhaas-Biennale verantwortlich zu sein. (Stephan Becker)
The Western Town
A Theory of Aggregation
Alex Lehnerer, Jared Macken, Jayne Kelley, Lorenzo Stieger
Hatje Cantz, Ostfildern 2013
Softcover, Englisch, 176 Seiten
35 Euro
Zum Thema:
www.hatjecantz.de