2016 war mit seiner Ereignisdichte kein Jahr, das man so schnell vergessen wird – doch gilt dies auch für die Architektur? Zumindest was prominente Fertigstellungen angeht, gab es eher wenige, dafür aber starke Höhepunkte. Mit der Elbphilharmonie fand beispielsweise eine lange Planungsgeschichte ihr durchaus euphorisches Ende: Der Bau von Herzog & de Meuron wurde von den Medien ausführlich gewürdigt. Und auch mit ihrer Erweiterung der Tate in London konnte das Büro überzeugen. Endlich eröffnet wurden außerdem die beiden Museen von Christ & Gantenbein in Basel und Zürich sowie Renzo Pianos luftige Kunststiftung in Athen. Jenseits solcher Kulturtempel gab es in anderen Bereichen allerdings nur wenige Gebäude von ähnlichem Status.
Versprechen
Dafür zeichnete sich das Architekturjahr 2016 im Gegensatz zum allgemeinen Trend durch eine gewisse Zuversicht aus – insbesondere, was Wettbewerbe und Grundsteinlegungen betraf. Neben dem Dom in Köln darf sich zum Beispiel Volker Staab verwirklichen, Peter Zumthor ist für die Erweiterung der Fondation Beyeler gebucht, und David Adjaye wird in Riga ein Museum bauen. Für das Bauhaus wurden außerdem gleich zweimal Grundsteine gelegt – einer in Weimar von Heike Hanada und einer in Dessau vom jungen Büro González Hinz Zabala. Ebenfalls jung sind außerdem die Wettbewerbssieger Kim Nalleweg und César Trujillo Moya, die in Berlin die Rosa-Luxemburg-Stiftung bauen werden. Voran geht es in der Hauptstadt außerdem mit OMAs Springer-Bau und David Chipperfields James-Simon-Galerie. Und dann natürlich das neue Museum am Kulturforum – ein Jahrhundertwettbewerb, bei dem sich bekanntlich Herzog & de Meuron mit einer Scheune durchsetzen konnten. Dass außerdem plötzlich Geld für eine Rekonstruktion von Schinkels Bauakademie bereitgestellt wurde, ist zwar weniger zukunftsweisend, aber doch bemerkenswert.
Holzbaukunst
Die vermeintlich archaische Scheunen-Form liegt ja ohnehin schon länger im Trend, und auch jenseits der Kultur kam dieses Prinzip im vergangenen Jahr gekonnt zum Einsatz. Insbesondere erwähnenswert ist Almannai Fischers Holzsporthalle in Haiming. Aber auch auch beim Tübinger Bildungshaus von (se)arch fand Holz als Fassadenmaterial gekonnt Verwendung. Mit dem nachwachsenden Rohstoff arbeitete außerdem Peter Grundmann bei seinem Haus Neiling II, das zu den meistdiskutierten Projekten des Jahres gehörte. Sehenswert waren desweiteren ein Gemeindezentrum in Trentino und eine Sporthalle in Straßburg.
Ausgezeichnet
Für den meistausgezeichneten Architekten des Jahres spielt Holz hingegen nur eine untergeordnete Rolle: Paulo Mendes da Rocha, dessen schwere Betonmoderne den brasilianischen Kontext ganz eigen interpretiert, erhielt den Praemium Imperiale, die Goldmedaille der RIBA und einen Golden Löwen in Venedig. Ansonsten wurden die Auszeichnungen durchaus breit vergeben: Junya Ishigami bekam den Schweizer Architekturpreis, Caruso St John den Stirling Prize, Peter Haimerl wurde für sein Konzerthaus in Blaibach mit der Großen Nike geehrt, und Bjarke Ingels erhielt für seinen New Yorker „Courtscraper“ den Hochhauspreis des DAM. Nicht zu vergessen der Kritiker und Historiker Kenneth Frampton, der mit dem erstmals vergebenen Julius Posener Preis des Berliner BDA ausgezeichnet wurde. Und der Pritzkerpreis ging bekanntlich an Alejandro Aravena, der ja zugleich Kurator der Biennale in Venedig war.
Biennalen, Triennalen
Aravenas Ausstellung in der Lagunenstadt war dazu geeignet, der Architektenschaft Zuversicht zu geben. Während bei Rem Koolhaas eher gegrübelt wurde, zeigte der Chilene mit „Reporting from the Front“ einen fast schon positivistischen Ansatz. Der deutsche Beitrag fügte sich dabei sehr gut in eine insgesamt spannende Ausstellung ein: Die Wände des Pavillons wurden durchbrochen, um dem Thema „Making Heimat“ frische Luft zu verschaffen. Zu den schönsten Beiträgen gehörte außerdem der belgische namens „Bravura“, mit dem De Vylder Vinck Taillieu die präzise Improvisationskunst des kleinen Landes feierten. Im Gegensatz zur objektbezogenen venezianischen Präsentation stand hingegen die Triennale in Oslo, die sich mit „After Belonging“ beschäftigte. In komplexen Analysen zum Thema sich auflösender gesellschaftlicher Zugehörigkeiten wurde dort ein akademischer Blick auf die Raumproduktion propagiert.
Apropos De Vylder Vinck Taillieu
Nicht nur in Venedig konnten De Vylder Vinck Taillieu überzeugen, auch wurden die drei Belgier aus Gent mit dem renommierten Schelling-Preis ausgezeichnet. Eine Freiraum-Ruinenarchitektur, ein Schmuckladen und ein Rathaus-Umbau zeigen als aktuelle Fertigstellung, warum die Entscheidung der Jury absolut berechtigt war. Überhaupt Belgien: Weitere Projekte wie ein Haus von GAFPA in Gent oder eine Schule von Dierendonckblancke sicherten dem Land auch 2016 einen Platz unter den interessantesten Architekturnationen. Dass das dortige Repertoir nicht nur Improvisation oder Backstein umfasst, zeigen Einfamilienhäuser aus Beton in Grimbergen und Keerbergen.
Zaha Hadid
Beton war auch das Lieblingsmaterial von Zaha Hadid, deren früher Tod die traurigste Architekturgeschichte des Jahres war. Zwei durchaus umstrittene Projekte, ein Fährterminal in Salerno und ein Hafengebäude in Antwerpen, wurden erst posthum fertiggestellt. Bei allen problematischen Aspekten ihres Architekturansatzes war aber auch ihren ärgsten Kritikern längst bewusst geworden, was sie an ihr hatten. Stand Hadid letztlich für eine autonome Architektur, war es der ebenfalls verstorbene Peter Conradi, der in verschiedensten Rollen immer wieder die gesellschaftliche Verantwortung derselben einforderte. Und mit Claude Parent verlor die Disziplin einen der letzten Supermodernisten.
Risse und Monolithen
Jenseits von aufwändigen High-End-Projekten, wie sie Hadid liebte, zählten Sichtbetonbauten auch 2016 wieder zu den umstrittensten Gebäuden. Insbesondere Leichtbeton beflügelt dabei noch immer die Diskussion, wie ein Einfamilienhaus von HDPF und das eigene Haus von rh-architektur zeigten. Auch Barozzi Veigas Relieffassade in Chur, die rissige Wand von SLETH in Aarhus oder die monolithische Feuerwache in Südtirol von Pedevilla Architects stießen auf großes Interesse. Und natürlich Valerio Olgiatis Wohnhaus-Komposition in Laax, die ganz in weißem Beton ausgeführt ist.
Wohnhochhäuser
Wegweisender als das kleine, feine Wohnen im Privatbau war in den letzten zwölf Monaten aber die Renaissance der Wohnhochhäuser, die sich nun auch deutlich in Deutschland bemerkbar macht. Allein der Frankfurter Architekt Magnus Kaminiarz (hier im Interview) plant mit dem Grand Tower, dem Ensemble Stiftstraße und dem Tower 90, der zusammen mit Helmut Jahn entsteht, drei wichtige Projekte. In Köln arbeiten kister scheithauer gross (ksg) momentan an einem Turm. 4a Architekten sanierten außerdem in Ulm drei Wohntürme aus den Sechzigerjahren. Hybride Gebäudeformen sind hierzulande hingegen weiterhin rar, auch wenn Ole Scheerens neues Hochhaus in Bangkok immerhin einen deutschen Architekten hat und UNStudio wiederum ein solches Projekt für Frankfurt planen. Nichts mit Wohnen zu tun hat hingegen der gläserne Turm von Diller Scofidio + Renfro in New York, der als skurriles Unihochhaus aber trotzdem erwähnenswert ist.
Prestige-Umbauten
Brachten hohe Häuser lange das größte Prestige in der Branche, ist dies längst nicht mehr der Fall. Nicht zuletzt mit David Chipperfields Projekten sind Sanierungen zu einer der interessantesten Bauaufgaben geworden – in München arbeitet er derzeit an Plänen für das Haus der Kunst. Am schönsten ist der Trend allerdings bei OMA zu beobachten, die inzwischen als Spezialbüro für Bauen im Bestand gelten dürfen. In Berlin gestalten die Rotterdamer gerade das Kaufhaus des Westens um, in London ertüchtigten sie das Commonwealth Institute, und in Venedig kann man seit dem Sommer in der historischen Fondaco dei Tedeschi Luxus shoppen. Aber nicht immer muss es so aufwändig zugehen, wie eine umgewidmete Metzgerei in Dietfurt von Kühnlein Architektur, eine transformierte Videothek in Berlin von Jan Rösler Architekten oder ein Kirchenumbau in Homburg von bayer | uhrig und Modersohn Freiesleben zeigen.
Eigenleben
Gute Architektur entsteht meist im Dialog mit einem selbstbewussten Bauherren, doch manchmal hilft es auch, wenn Architekten ausschließlich im eigenen Interesse arbeiten. Beim Serpentine Pavillon bekam in diesem Jahr Bjarke Ingels diese Freiheit, wobei im Rahmen der Summer Houses auch Kunlé Adeyemi, Barkow Leibinger, Asif Khan und Yona Friedman träumen durften. Noch konsequenter konnten allerdings MVRDV und KAAN Architecten bei ihren neuen Büroräumen vorgehen, die sie in einem denkmalgeschützen Industriebau bzw. in einer alten Bank eingerichtet haben.
Wer am Ende des Jahres die Dinge allerdings lieber aus einer gewissen Distanz betrachtet, dem sei ein Initiativprojekt der slowenischen Architekten OFIS ans Herz gelegt. In den Julischen Alpen befindet sich ihre neue Schutzhütte, die zwar am Abgrund balanciert, aber nicht hinunterfällt – was ruhig auch als Vorsatz für 2017 verstanden werden sollte. (sb)
Schöne Feiertage wünschen Diana Artus, Stephan Becker, Dina Dorothea Falbe, Daniel Felgendreher, Gregor Harbusch, Sophie Jung, Luise Rellensmann und Kathrin Schömer.
Am 2. Januar 2017 sind wir zurück.