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21.07.2021

Buchtipp: Letztlich das Subjekt

Critique of Architecture von Douglas Spencer


Die Titel der traditionsreichen Theoriereihe Bauwelt Fundamente sind meist sachlich und konkret. Bei Critique of Architecture: Essays on Theory, Autonomy, and Political Economy von Douglas Spencer fällt jedoch spätestens auf den zweiten Blick auf, welch hohen Abstraktionsgrad bereits die Überschrift trägt. „Kritik der Architektur“ wäre eine Übersetzung ins Deutsche. Kritik heißt hier: die fundierte und systematische Diskursanalyse, die der an der Iowa State University lehrende Architekturtheoretiker in diesem Buch mit Verve wie auch beeindruckender Zugänglichkeit betreibt. Etwas theoretische Akrobatik erfordert sein abstraktes Konzept von der Architektur: Für den aus dem Marxismus kommenden Autor ist sie schließlich so etwas wie die räumliche Erfassung der Machtgefüge des Kapitals. Also: Douglas Spencer bewegt sich in den zwölf Texten von Critique of Architecture fast nur auf der Metaebene.

Mit diesem Buch will Spencer die diskursanalytische Kritik überhaupt wieder zurück in die Architekturtheorie holen, nachdem diese – als „tyrannisches Regime“ gebrandmarkt – in den letzten Dekaden von einem pragmatischen, lösungsorientierten Denken ersetzt worden sei. Diese Wendung weg von der Kritik hin zu einer Theorie der Erfahrung, der Rezeption und der Formalitäten sieht Spencer auch als einen gefährlichen neoliberalen Turn, gemäß der Losung „diskreditiere alle Versuche, die Probleme dieser Welt anzusprechen als elitär und despotisch, (...) überlasse alles den überlegenen, berechnenden Kräften des Marktes“, wie er es in seiner wunderbar entlarvenden Ironie formuliert.

Nur wenig geht es in Critique of Architecture um konkrete Architektur. Der Bau für die Ravensbourne University London von Foreign Office Architects mit seiner flexiblen Lernlandschaft, die laut Spencer ebenso „flexible, marktangepasste Studierende“ produziere, taucht auf. Oder die Pläne des Autoherstellers Ford, die lang verwaiste Michigan Central Station in Detroit zu einem Firmenstandort umzuwandeln, was der Autor als ein Beispiel ansieht, „wie Kapitalismus und Architektur von Wiederholung und Kontinuität geprägt sind“.

Seine fundierte und beflissene Kritik analysiert vielmehr, wie sich die Architekturtheorie  in den Dienst des Neoliberalismus stellen kann. In den Konzepten um eine vermeintliche Autonomie von Architektur sieht Spencer diese Einbettung in ein neoliberales Organisationsgefüge ebenso wie in einem Architectural Deleuzism, wie er eine Lesart des fließenden, grenzenlosen Raumes nach Gilles Deuleuze und Félix Guattari bezeichnet. Patrik Schumacher von ZHA oder Alejandro Zaera-Polo von FOA würden mit ihren Thesen und Entwürfen zugunsten eines vernetzten, hybriden, multizentrischen Raums, also eines vermeintlich Deuleuze'schen Raums, nur das Manager*innendenken unseres zeitgenössischen Kapitalismus widergeben, der Netzwerke und Selbstorganisation zu operativen Mitteln erklärt habe. Dass sich in diese neoliberale Konstitution des Raums auch problemlos Bruno Latours ebenbürtige Objekte und Subjekte der Actor-Network-Theory integrieren lassen, entgeht Douglas Spencer nicht. Auch mit Latours Theorie rechnet er in einem Essay ab, spitzzüngig eingeleitet mit diesem ersten Satz: „Wir sind neuerdings, so scheint es, dazu gezwungen, Objekten und Dingen ihren Anteil zu geben“.

Während Douglas Spencer in seinen elf Essays und einem Gespräch mit dem jungen Architekten und Kritiker Miloš Kosec präzise den theoretischen Gegenstand seiner Kritik genauso theoretisch wieder zerpflückt, schält sich aus seinen Gedanken eine ihm wertvolle Größe heraus: das mündige Subjekt. Aber nicht eines im vermeintlichen Möglichkeitsraum des Neoliberalismus, sondern eines im komplexen Machtverhältnis des Kapitals, um dessen Aufklärung es bestrebt ist. Mit dem Ideal eines solchen Subjekts bewegt sich Spencer im Feld der Kritischen Theorie und weiter: in demjenigen Michel Foucaults. Deren vor Dekaden entwickelten analytische Werkzeuge stellt Douglas Spencer mit Critique of Architecture noch einmal auf eine aktuelle Probe. Denn, so schreibt er im letzten Essay, „Kritik muss sich mit ihrem Gegenstand mitbewegen“.

Text: Sophie Jung


Critique of Architecture

Essays on Theory, Autonomy, and Political Economy
Douglas Spencer
Bauwelt Fundamente 168
192 Seiten, Englisch, 30 s/w-Abbildungen u.a. von Douglas Spencer

Birkhäuser/De Gruyter , 2021
ISBN 978-3-0356-2163-1
29,99 Euro


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