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17.03.2020

Aus der Distanz

Covid-19 als Herausforderung für die Architektur


Liebe Leserinnen und Leser,

Sie werden es in den letzten Tagen bemerkt haben: Unsere üblichen Terminmeldungen fehlen, weil das öffentliche Leben zum Erliegen gekommen ist. Es gibt schlichtweg keine Veranstaltungen mehr, die wir ankündigen könnten. Auch sonst spüren wir beim BauNetz – wie Sie alle – Auswirkungen auf unsere Arbeit. So findet zum Beispiel die Redaktionstätigkeit längst in diversen Homeoffices statt, um Sie auch weiterhin mit dem täglichen Newsletter zu versorgen. Wir hoffen, dass wir dazu beitragen können, die nächsten Wochen kurzweiliger zu gestalten.

Aber klar ist auch: Prioritäten verschieben sich, Infinity-Pools an exotischen Reise-Destinationen sind gerade nicht das drängendste Thema der Zeit. Wir werden weiter gute und diskussionswürdigen Projekte vorstellen, möchten aber auch das Thema Corona auf sinnvolle Weise in unsere Meldungen einbinden – heute durch einen Text von Manuel Pestalozzi, der als freier Autor in Zürich lebt.

Bleiben Sie gesund!
Ihr BauNetz-Redaktionsteam

PS: Mit dem Thema werden sich auch unsere Kolleg*innen von DEAR/baunetz i|d regelmäßig beschäftigen. Heute berichtet dort Norman Kietzmann aus Mailand.


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Aus der Distanz
Ein Kommentar von Manuel Pestalozzi


Von der Informationsvermittlung wird Nähe verlangt. Wegen COVID-19 ist sie aktuell in mancher Hinsicht unerwünscht – wenn nicht verboten. Die Gefahr einer starken Verbreitung des bisher unbekannten Virus stellt uns vor analog-räumliche Probleme. Das muss Architektinnen und Architekten interessieren.


Die ganze Welt ist durch die globale Verbreitung des Corona-Virus, auch COVID-19 genannt, mit einem neuen, furchterregenden Phänomen konfrontiert. Das Wissen um die Neigungen und die Wirkung des neuen Begleiters ist beschränkt, der Wissensvorsprung der Expertinnen und Experten entsprechend klein. Jeder Tag kann mit Überraschungen aufwarten. Jede Reaktion auf neue Ereignisse und Erkenntnisse kann mangelhaft sein – oder eine Überreaktion. Derweil werden strenge Restriktionen obrigkeitlich dekretiert oder auf freiwilliger Basis entschlossen. Alles wartet darauf, bis sich die zum Umgang mit COVID-19 passenden englischen Trendwörter gesettelt haben. Eines wird mit ziemlicher Sicherheit „distancing“ heißen. Es ist von architektonisch-räumlicher Relevanz.

Nach der gängigen Vorstellung – und dem beruflichen Selbstbild – entwerfen Architektinnen und Architekten Räume, die das einvernehmliche Zusammenleben fördern. Die bekanntesten Bauwerke des Erdballs sind als Magneten für Menschenmassen geplant: Sie schaffen Nähe, erlauben den Austausch, das gemeinsame Erlebnis. Sie bieten der Gruppe die Geborgenheit, die sich jede Schafherde wünscht: ein Beisammensein, Körper an Körper, im physischen Kontakt, der das Gefühl vermittelt, aufgehoben zu sein. Natürlich müssen auch bei den bezauberndsten Publikumsmagneten Fluchtwege geplant werden, natürlich gibt es die Techniken der „Personenvereinzelung“ – solche Sicherheitsmaßnahmen sind aber Nebenaufgaben für Extremfälle, von denen man hofft, dass sie niemals eintreten. Sie haben sich deshalb verschämt möglichst im Hintergrund zu halten.

COVID-19 stellt nun viele Selbstverständlichkeiten auf den Kopf, für den Moment jedenfalls. Die gerühmte Dichte hat ihre Attraktivität verloren – plötzlich ist Distanz gefragt, wenn nicht verordnet. Barrieren, Sperren und Grenzen rücken ins Rampenlicht. Ihre Durchlässigkeit wird unter spezifischen Aspekten debattiert. Die eigenen vier Wände, in die man sich wie ins Schneckenhaus zurückziehen kann, erhalten als Lebensmittelpunkt eine neue Aktualität. Gefragt sind Ausweichmöglichkeiten, Alternativen zum normalen Alltag. Die oft kritisch kommentierte Digitalisierung ist plötzlich unentbehrliches Werkzeug zur Kompensierung der verlorengegangenen analogen menschlichen Nähe. Man darf zuversichtlich sein, dass COVID-19 wie alle Pandemien vorübergehen wird. Den Hausarrest sollten Architektinnen und Architekten in der Zwischenzeit für Überlegungen nutzen, ob sich aus diesem Ernst- und Notfall bleibende Lehren ziehen lassen. Interessant ist beispielsweise die neue Bedeutung von Balkonen für das Zusammensein auf Distanz. Sowohl aus Wuhan wie auch aus Italien erreichen uns Berichte von Menschen, die sich von Balkonen als Logen des öffentlichen Raumes Mut zurufen und miteinander Lieder singen. Müssen Balkone fortan so geplant und angeordnet werden, dass sie diese Funktion optimal erfüllen können?

Zu den zahlreichen Veranstaltungen, die wegen COVID-19 abgesagt oder verschoben wurden, gehört auch die 17. Architekturbiennale in Venedig, die nun erst am 29. August beginnen soll. Der niederländische Kurator Ole Bouman hat vorgeschlagen, diese Veranstaltung sofort zu starten – ohne dabei auf eine physische Präsenz vor Ort zu drängen. Man solle sich nicht nur mit dem geplanten Thema „How will we live together?“ auseinandersetzen, sondern auch mit den gravierenden Folgen von COVID-19 auf die Architektur und Bautätigkeit. Der Austragungsort der Architekturbiennale eignet sich dafür eigentlich gut. Die Stadtrepublik in der Lagune hat einst die Quarantäne erfunden, 1911 fand dort die letzte Choleraepidemie statt. Thomas Mann hatte sie im „Tod in Venedig“ beschrieben, Luchino Visconti verfilmte später den Roman.

Manuel Pestalozzi lebt als Architekt und Journalist in Zürich, er ist über seine Webseite www.bau-auslese.ch zu erreichen.


Kommentare:
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Distanz im Stadtraum: Seestraße in Herrliberg

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Balkone erlauben das Zusammensein mit nötigem Abstand. Muss dieses architektonische Element in Zukunft anders interpretiert werden?

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