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14.03.2018
Buchtipp: Informelle Mikroarchitekturen
Co-Machines - The Mobile Disruptive Architecture Handbook
Vor zwei Jahren startete das Kollektiv ON/OFF – eine 2012 in Berlin gegründete Gruppe junger Architekten, Künstler und Designer – als Teil seiner Forschung zu Stadtwahrnehmung und Raumnutzung einen internationalen Open Call. Gesucht wurden Entwürfe und Prototypen sogenannter Co-Machines, wie ON/OFF selbst schon einige konzipiert hat – mobile, informelle und oft skulptural wirkende Mikrostrukturen, die schnell und einfach selbst gebaut werden können mit dem Zweck, auf symbiotische oder parasitäre Weise mit dem öffentlichen Stadtraum zu interagieren. Nun liegt das Resultat dieses Aufrufes in Form eines liebevoll gestalteten Readers in Do-it-Yourself-Optik vor: Eine beispielhafte Auswahl aus den eingesandten Projekten wird ergänzt um einen theoretischen Teil mit kurzen Essays von Architekten, Kritikerinnen, Urbanisten und Aktivistinnen zu Themen wie Partizipation, temporäre taktische Interventionen, unmittelbare Architektur, Gemeingut und Gemeinschaft.
Der Begriff „Handbuch“ ist dabei vielleicht etwas irreführend: Die Publikation liefert keine konkreten Bau- und Bedienungsanleitungen für die vorgestellten Maschinen. Vielmehr fungiert sie als Inspirationsquelle und gedankliche Anregung, wie der normierten und durchregulierten westlichen Stadt, ihren Repräsentationsbauten, vorbestimmten Nutzungen und ausschließenden Zonierungen eine selbstbeauftragte und interventionistische Designpraxis entgegengesetzt werden kann. Wie könnte eine Architektur ohne Architekten und ohne Budget aussehen; kann Design als politischer Prozess verstanden werden, der gemeinschaftlichen Bedürfnissen Ausdruck verleiht; wäre die allgegenwärtige Ausrichtung auf den Marktwert mittels unerwarteter Störfaktoren konterkarierbar? Wie ließe sich der bereinigte und zunehmend von Privatinteressen kontrollierte öffentliche Raum der Stadt „hacken“, um ein für alle offener Begegnungsort zu bleiben – inklusiv statt exklusiv?
Die Antwort von ON/OFF auf solche und ähnliche Fragen lautet: mithilfe von Co-Machines. Den dokumentierten Projekten ist gemein, dass sie auf einer alternativen Nutzung bestimmter Räume wie Parkplätze, Verkehrsinseln, Gehwege, Brachflächen und oft einer Zweckentfremdung bereits vorhandener Gebrauchsgegenstände basieren. Die klassische Co-Machine kann ad hoc einfach gebaut und bedient werden – der Begriff „Maschine“ meint hier kein komplexes, automatisiertes Gebilde, sondern einen beweglichen Apparat mit äußerst simpler Mechanik, großer Einsatzflexibilität und Spaßfaktor.
„Co“ steht dabei für collaboration, commons und community, also für das Miteinander und das Gemeingut. Wie Nick Green in seinem Text „Architecture and Immediacy“ anschaulich erläutert, funktionieren Co-Machines als partizipative Kreationen, die auf kollektive Bedürfnisse reagieren und diese überhaupt erst sichtbar machen. Sie stellen eine explizite Verbindung zwischen ihren Nutzern und der umgebenden Stadt her, sie geben dem Wunsch nach Mitgestaltung und Teilhabe Raum – ganz im Gegensatz zu ihrem Antipoden: der Me-Machine, deren klassische Verkörperung das nach außen hin abgeschottete, allein dem individuellen Vorankommen auf Kosten anderer dienende Auto ist. Mit ihrer oft etwas ungelenk-dilettantisch wirkenden, an die Ästhetik des Steampunk erinnernden Erscheinung können die Co-Machines zugleich als Gegenentwurf zum Zukunftsmodell der Smart City verstanden werden. Ihr analoger Low-Tech-Charakter impliziere eine Ablehnung der gegenwärtig propagierten digitalen „Smartness“, schreibt Alison Hugill in ihrem Essay „Addressing Community“.
Die auf den Textteil folgende Dokumentation der Prototypen aus verschiedenen Ländern illustriert die Bandbreite und die Möglichkeiten ambulanter urbaner Mikrostrukturen und Tools. Da ist zum Beispiel das mobile „Trolley Sound System“, Lautsprecher und Verstärker im Einkaufswagen – eine der wohl simpelsten und naheliegendsten Co-Machines. Der Einkaufswagen eignet sich jedoch genauso gut als fahrbarer Hühnerstall („Chicks on Speed“). Neben vielen, eher spielerischen Konstruktionen kommt auch das Nützliche nicht zu kurz: So ermöglicht beispielsweise „Cocool Matadero“ gemeinschaftliches urbanes Kochen, „Matroshka Street Furniture“ eine flexible, bedürfnisgerechte Stadtmöblierung und „Precious Plastic“ das unkomplizierte Recycling des eigenen Plastikabfalls.
Konsequenterweise wurde auch die Produktion des Buches kollaborativ angegangen: Finanziert wurde es über Crowdfunding, und neben der schicken Pantone-Offsetausgabe entstand eine limitierte DIY-Version in Form einer von den Herausgebern höchspersönlich im Risoprintverfahren gedruckten ersten Edition. Hergestellt wurde diese übrigens auf einer von ON/OFF eigens dafür entworfenen Co-Machine: der fahrbaren Guerilla Printing Press.
Text: Diana Artus
Co-Machines. The Mobile Disruptive Architecture Handbook
ON/OFF & Dan Dorocic (Hg.)
Selbstverlag, Berlin 2018
240 Seiten, Englisch
24 Euro
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Die Offsetausgabe...
und die bereits vergriffene erste Risoprintauflage.
Beispielseite aus dem Buch
ON/OFF-Projekt „Guerrilla Printing Press“, hier vor dem Bauhaus in Dessau in Aktion
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