In Chinas neue Architektur. Bauen im Kontext stellt Christian Schittich dem gemeinhin vorherrschenden Bild von der schnell hochgezogenen Retortenarchitektur eine andere Seite des zeitgenössischen Bauens im Land der Mitte entgegen. Anhand von 19 Projekten legt er aktuelle Tendenzen und Herangehensweisen einer neuen Generation ambitionierter Büros dar, die auf eine Neuinterpretation der chinesischen Baukultur setzen. Traditionelle Bauweisen und Materialien in Kombination mit zeitgenössischen Formen ergeben dabei eine ganz eigene, nicht selten spektakuläre Architektursprache, über die man hierzulande oft begeistert staunt.
Schittichs kurze Einführung gibt einen interessanten Einblick in Chinas junge, aufstrebende Architekturszene und informiert über die Schwierigkeiten, mit denen die Büros zu kämpfen haben. Finanzieller und Termindruck sowie fehlendes Fachpersonal führen oft zu schlechter Bauqualität und einem anderen Erscheinungsbild der Projekte als ursprünglich geplant. Zugleich ist innerhalb Chinas aktuell ein Trend zum Architekturtourismus zu erkennen – laut Einschätzung des Autors wohl ein Ausdruck der weit verbreiteten „Sehnsucht nach dem besonderen Ort“.
Ein Interview mit Wang Shu – Gründer des Büros Amateur Architecture Studio – der 2012 als erster Chinese den Pritzker-Preis erhielt, bringt eine persönliche Note in das Buch. Shu erklärt, warum den jungen chinesischen Architekt*innen Tradition wichtig ist, gibt Einblicke in die konkrete Entwurfsarbeit und erklärt, wie die neue Bekanntheit dem Büro dabei hilft, sich für gemeinwohlorientierte Projekte einzusetzen.
Die einzelnen Projekte werden jeweils in einem kurzen Text vorgestellt, der Hauptteil der Projektdokumentation erfolgt über ausdrucksstarke Fotos, die die Architektur in Szene setzen. Die Projekte umfassen verschiedene Maßstäbe: Vom traditionellen Pekinger Hutong über Museen bis zu riesigen ehemaligen Industrieanlagen, die zu Kunst- und Kultureinrichtungen umgestaltet wurden. Neben der Wiederentdeckung des historischen Bestands ist die Revitalisierung des ländlichen Raums ein großes Thema im Buch. Die meisten der ausgewählten Gebäude sind öffentlich und bieten einen kulturellen oder sozialen Mehrwert. Schittich zeigt unter anderem Bibliotheken, Lernorte, Museen, Stadtteilzentren – oder gar eine Mischung aus all dem.
Schittichs kompakte Buch ist ein guter Einstieg und weckt das Interesse an der zeitgenössischen chinesischen Architektur – auch wenn die gezeigten Beispiele, wie der Autor bedauert, aktuell eher die Ausnahme als die Regel bilden.
Text: Carolin Lichtenstein
Chinas neue Architektur. Bauen im Kontext
Christian Schittich
144 Seiten
Birkhäuser, Basel 2019
ISBN 978-3-0356-1756-6
39,95 Euro