Die Überschrift „Town House in Kingston fertig gestellt“ hätte zu Missverständnissen führen können. Denn weder handelt es sich bei diesem Gebäude um ein städtisches Wohnhaus, noch steht es in der weltweiten Hauptstadt von Reggae und Dub in Jamaika. Keine Karibikgefühle also, sondern posteuropäischer, englischer Nieselregen: Das „Town House“ der soeben mit dem Pritzker-Preis geadelten Grafton Architects steht in Kingston-upon-Thames im äußersten Südwesten von London. Und es ist das neue zentrale Campus-Gebäude für die dortige Kingston University, die zwar auf eine traditionsreiche Geschichte, aber auf keinen entsprechenden Campus blicken kann. Stattdessen nutzt die Uni pragmatisch über das Städtchen verstreute Zweckbauten, die lose zu vier Zentren gefasst sind.
Das neue zentrale Gebäude, übrigens das erste Gebäude der irischen Architektinnen auf der britischen Insel, soll nun Eingangsgebäude und sichtbare Visitenkarte gleichzeitig sein. Für den Wettbewerb 2014 hatte die Universität einen bunten Programm-Mix zusammengetragen: Bücherei, Arbeitsort, Treffpunkt, Probe- und Aufführungsräume für den Fachbereich Tanz sowie Archiv und zentraler Veranstaltungsort. Außerdem war es der Universität wichtig, dass hier nicht nur ein Treffpunkt für Studierende und Mitarbeiter, sondern auch für die „local community“ entstünde; ein offenes und einladendes Haus für alle. Dafür stellte die staatliche Universität 50 Millionen englische Pfund als Gesamtbudget aus eigenen Mitteln zur Verfügung.
Grafton beantworteten die vagen Vorgaben der Universität mit einem Gebäude voll offener Plattformen und flexibler, großer Räume. Im Erdgeschoss liegt hinter dem weiten Foyer ein Café an der Straße und vor allem ein zentraler, überdachter, dreigeschossiger Innenhof. Die weiten Schiebetüren und die breiten Sitztribünen ermöglichen eine flexible Nutzung. Etagenhohe Glaswände machen Einblicke aus den höheren Etagen möglich – so wie überall in der Gebäudestruktur immer wieder mehrgeschossige Räume eingeschoben werden, die Blickbeziehungen zwischen den Ebenen öffnen. Die Bibliothek streckt sich entlang der zentralen, offenen Treppe über mehrere Etagen; wo sie endet und wo die freien Arbeitsräume anfangen, ist nie klar definiert. Überall im Haus sollen Studierende und Lehrende schnell Tische und Stühle für eine Arbeitsgruppe zusammenschieben können. Grundsätzlich ist das Haus sechsgeschossig und bietet 9.400 Quadratmeter Nutzfläche – durch die Höhenversprünge auch in der nach außen tretenden Struktur sieht es allerdings deutlich lebendiger aus.
Um das Ganze ist in eine Hülle aus recycelten Ziegelsteinen und einer offen nach außen tretenden Betonstruktur gelegt, die von den Architekten als „Kolonnade“ bezeichnet wird. Terrassen, Balkone und breite Treppen ergänzen das flexible Innere und dienen außerdem als Fluchtwege. Die Aussage ist klar: Dieses Haus ist ein Werkzeug und soll genutzt und belebt werden, innen und außen, vom Erdgeschoss bis zu den Dachterrassen. Zur Straße dient die Kolonnade außerdem als Distanz bietender Lärmschutz und als einladende Geste für die Passanten – und natürlich als Schutz vor dem Londoner Regen.
Fotos: Ed Reeve, Dennis Gilbert
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Nils | 09.03.2020 07:57 UhrWow.
Wow. Es kommt mir jetzt schon alt vor.