Zwischen 23 Uhr und drei Uhr morgens, wenn die Verkäufer nach und nach ihre Läden öffnen und die Kleinhändler aus ganz Südkorea ankommen, um ihre Stände aufzubauen, ist die Hauptzeit des farbenfrohen Treibens in den engen Gassen des Namdaemun Marktes in Seoul. Eine informelle Bautätigkeit, improvisierte Auslagen und die Vielzahl sich gegenseitig verdeckender, grell leuchtender Werbeschilder tragen zur besonderen Atmosphäre bei. Der 24 Stunden geöffnete, älteste Markt Südkoreas ist als wichtiger Umschlagplatz nicht nur von ökonomischer Bedeutung für die Händler, sondern auch eine beliebte Touristenattraktion.
Am Rande des Marktes errichteten Mecanoo (Delft) für die Heungkuk Lebensversicherung einen Büroturm, dessen Fassadengestaltung den visuellen Reizen der Marktgassen Ruhe entgegensetzt. Das stringente Muster aus monochromen, dunkel lackierten Metallelementen, die als variierende Fachwerkstreben über Lochblech liegen, hat über seine dekorative Funktion hinaus auch eine lichtregulierende: Es filtert einfallendes Sonnenlicht und wirft Schatten, die im Inneren unterschiedliche Atmosphären entstehen lassen. Im Tagesrhythmus ist es wie fast immer: Tagsüber zeigt sich das Haus als schwarzer Turm, nachts tritt das Fachwerkmuster durch die beleuchteten Innenräume stärker hervor.
Der Namdaemum Markt hat eine lange Geschichte und befindet sich auf historisch bedeutendem Terrain. Im 15. Jahrhundert initiiert, in der Folge mehrmals durch Feuer komplett zerstört, wurde er in den 1960er Jahren in seiner jetzigen Form erneut wieder aufgebaut. Er füllt die autofreien Gassen nördlich des Namdaemum Tors – einem der acht historischen Tore entlang der ehemaligen Stadtmauer von Seoul, welche im 14. Jahrhundert erbaut wurde. 1962 wurde das Tor zum Nationalschatz Nummer eins erklärt. Corporate Architecture in solch historisch bedeutendem Kontext, konzipiert von einem global agierendem Großbüro, scheint offenbar nicht ohne einen rhetorischen Bezug zu regionalen Bautraditionen auszukommen. So erklären Mecanoo „die Geschichte des Marktes und regionale Traditionen“ zur Grundlage für ihren Entwurfsprozess. Wie genau sich diese in der Architektur niederschlagen, beantworten sie dann allerdings nicht. Das Büro hat entschieden, die Grundrisse nicht zu veröffentlichen. (df)
Fotos: Kyungsub Shin
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Rück | 10.08.2017 11:38 UhrSeoul
Ein Projekt, was mir ausgesprochen gut gefällt! Für mich (als ahnungslosen Mitteleuropäer) sieht das für den Ort wunderbar angemessen und passend aus. Fügt sich in die "Blade-Runner"-Umgebung ein und wirkt in der Ausführung zart, filigran und handwerklich. Fein!